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Kurzinterview

Kurz nachgefragt... bei Prof. Dr. Matthias Pasdzierny

Zum Newsletter 1 | 2024

Berliner Arbeitsstelle

Frankfurter Arbeitsstelle

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Prof. Dr. Matthias Pasdzierny leitet die Berliner Arbeitsstelle der "Bernd Alois Zimmermann-Gesamtausgabe" und hat seit dem 1. Januar 2024 eine Akademie-Juniorprofessor an der Universität der Künste Berlin inne. Die "Bernd Alois Zimmermann-Gesamtausgabe. Historisch-kritische Ausgabe seiner Werke, Schriften und Briefe" ist von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Wissenschaften und der Literatur | Mainz, gemeinsam getragenes Vorhaben.

Sie edieren im Projekt nicht nur Kompositionen und Noten von Zimmermann, sondern auch Briefe, Schriften und auch die zu den Werken gehörenden Tonbänder. Welche interessanten und spannenden Erkenntnisse konnten Sie dabei entdecken? Was unterscheidet ihn von anderen Komponisten nach 1945?

Bernd Alois Zimmermann gehört in der Nachkriegszeit zu den Komponisten, die bei aller Suche nach neuen Ausdrucks- und Gestaltungsmitteln, bei aller Aufbruchs- und Fortschrittseuphorie dieser Jahre und Jahrzehnte dennoch ganz bewusst den Bezug zur Vergangenheit nicht aufgeben wollten. Eine „Stunde Null“ auszurufen interessierte ihn im Gegensatz zu vielen vor allem jüngeren Komponisten dieser Zeit nicht. Vielmehr sind gerade auch seine Schriften durchzogen von der intensiven Auseinandersetzung mit scheinbar obsolet gewordenen Kompositions- und Gattungstraditionen. Zimmermann beschäftigte die Frage, wie man diese weit in die Tiefe der Zeit reichenden kulturellen Schichten und Wissensbestände, die wir, erst recht in Europa, alle mehr oder weniger bewusst in uns tragen, produktiv machen, befragen, vielleicht auch in neue und überraschende Konstellationen bringen kann. Was uns aber auch immer wieder begegnet, vor allem in seinen oft gemeinsam mit seiner Frau Sabine von Schablowsky verfassten Briefen, aber auch auf einigen der Tonbänder und den darauf enthaltenen Outtakes, ist eine eher unbekannte Seite von Zimmermann: Anders als das heute oft transportierte Bild des düster sich zergrübelnden Komponisten zeigt sich an vielen Stellen sein ausgeprägter, mal abgründiger, mal auch übermütiger und lebensfroher Humor.

Gibt es Elemente an Zimmermanns Schaffen, die auch noch heute in der Musik spürbar sind?

Ganz offensichtlich, denn sonst würden seine Werke nicht bis heute soviel und begeistert gespielt werden, vom Studierendenensemble an Musikhochschulen bis hin zu internationalen Konzert- und Opernhäusern. Wie nur wenigen ist es ihm in vielen seiner Kompositionen offenbar gelungen, komplexe und voraussetzungsreiche Konstruktionsprinzipien mit disparatem kompositorischen Material zusammenzubringen, und dabei dennoch einen Spannungsbogen zu erzeugen, eine unmittelbar sinnliche Erfahrbarkeit und fassliche Dramaturgie. Im „Requiem für einen jungen Dichter“ etwa bringt er, in der Großform des Oratoriums, Samples aus „Hey Jude“ von den Beatles zusammen mit Ausschnitten aus Wagners „Tristan und Isolde“, Reden von Adolf Hitler und Josef Stalin mit Auszügen aus dem Grundgesetz und Ansprachen von Johannes XXIII und vielem mehr, noch dazu wird man von Chören umhüllt, die Abschnitte aus der Requiem-Liturgie mit einem Arbeiterlied verweben. Und dennoch erlebt man dieses Stück als eine unheimlich starke Einheit, als eine gerade in der einkalkulierten Überforderung des Publikums begründete, zutiefst erschütternde ästhetische Erfahrung.

Zimmermann musste – anders als andere Komponisten seiner Zeit – nicht ins Exil gehen, aber wie fast alle jungen Männer im 2. Weltkrieg kämpfen. Wie hat ihn diese Zäsur geprägt? 

Einen unmittelbaren, vielleicht sogar psychologisierenden Bezug von Zimmermanns Komponieren auf seine Kriegserlebnisse finde ich schwierig, das Gleiche gilt übrigens für in der Literatur immer wieder anzutreffende Interpretationen seiner Musik vor dem Hintergrund seines Suizids 1970. Letztlich weiß man dafür gerade über seine unmittelbaren Kriegserlebnisse auch zu wenig. Was sich aber in jedem Fall feststellen lässt, ist seine intensive kompositorische Auseinandersetzung mit der Frage, wie sich die Welt für einen Menschen in der Mitte des 20. Jahrhunderts darstellt, wie in dieser in vielem ja tatsächlich mit sehr schrecklichen und traumatisierenden Brüchen verbundenen Zeit gelebt, gefühlt, gedacht, und auch politisch gedacht, gehofft und gezweifelt wurde. Dabei geht es Zimmermann nie um eindeutige Botschaften oder gar moralische Bewertungen, vielmehr artikuliert sich eine große Empathie mit seinen Zeitgenossen, eine Art mitleidende Sympathie, aber auch ein Verzweifeln an der Menschheit, die im brutalen Chaos und der Unübersichtlichkeit ihrer äußeren und inneren Umstände orientierungslos ins Verderben zu taumeln scheint. Das „Requiem für einen jungen Dichter“ etwa ist vor diesem Hintergrund ein Werk von fast schon erschreckender Aktualität.

Seit dem 1. Januar haben Sie neben der Projektstelle auch eine Akademie-Juniorprofessur an der Universität der Künste Berlin inne. Dadurch sind Sie noch näher an der nächsten Generation von Wissenschaftler:innen. Was wollen Sie diesen mitgeben?

In der Musikwissenschaft scheint mir bis heute noch nicht in der vollen Tragweite erfasst worden zu sein, welche tiefgreifenden Veränderungen die medientechnischen Entwicklungen des 20. und frühen 21. Jahrhunderts mit sich gebracht haben. Klingende Musik, Stimmen aufnehmen, mit sich herumtragen, verschicken und nachträglich bearbeiten zu können, oder sie heute gleich mit den Mitteln elektronischer oder digitaler Klangerzeugung selbst zu generieren, das sind Umwälzungen, die allenfalls mit der Erfindung erster Musikinstrumente vor 40.000 Jahre oder der Entwicklung der Notenschrift zu vergleichen sind. Hier ist, etwa medienhistorisch, aber auch mit Blick auf gesellschaftliche, rechtliche und viele andere Auswirkungen noch ungemein vieles zu erforschen und zu verstehen. Meine Hoffnung wäre dabei, durch die Beschäftigung mit unserer näheren musik- und medienhistorischen Vergangenheit besser dafür gewappnet zu sein, was gegenwärtig und in näherer Zukunft passiert. Wer weiß, vielleicht geht die Idee einer Musikgeschichte als einer Geschichte von Werken und ihren Urhebern und, lange viel zu selten, Urheberinnen, gerade auf die Zielgerade und wir erleben schon sehr bald eine Zeit, in der Musik wieder viel stärker und ganz überwiegend als Praxis, als ein gemeinschaftliches Handeln wahrgenommen wird – unter freundlicher Beteiligung von musizierenden Computern und sogenannten künstlichen Intelligenzen. Um eine solche Entwicklung aufmerksam, bewusst und vielleicht auch kritisch begleiten zu können, braucht es unbedingt auf diesen Gebieten gut ausgebildete Musikwissenschaftler:innen. Dafür möchte ich mich gerne einsetzen.


Kontakt

Dr. Annette Schaefgen
Leiterin Berliner Büro
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit


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