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Porträtfoto einer Frau
Kurzinterview

Kurz nachgefragt... bei Prof. Dr. Maria Deiters

Juni 2023

 

Zum Projekt

CVMA beim „Projekt des Monats“

Zum Newsletter 3 | 2023

Prof. Dr. Maria Deiters ist Kunsthistorikerin und leitet die Potsdamer Arbeitsstelle des interakademischen Projekts „Cor­pus Vitrearum Medii Aevi“ (CVMA) der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Wissenschaften und der Literatur | Mainz. Das deutsche CVMA ist Teil des internationalen Corpus Vitrearum, das 1952 gegründet wurde, um den Gesamtbestand mittelalterlicher Glasmalereien in Europa sowie in den Museen der USA und Kanadas zu dokumentieren und wissenschaftlich zu erschließen. Aktuell ist u. a. ein Band zum Naumburger Dom in Ar­beit, der 2024 erscheinen soll.

Was macht die Glasmalereien im Naumburger Dom so besonders?

Der Naumburger Dom hat – anders als viele andere Dome des 13. Jahrhunderts in Deutschland – noch einen wesentlichen Teil seiner Glasmalereien bewahrt. Das hat nicht unerheblich zu seiner Er­nennung zum Weltkulturerbe beigetragen. Gerade der Westchor mit den berühmten Stiftersta­tuen des Naumburger Meisters wäre in seiner Gesamtästhetik und seinem Programm gar nicht wirk­lich zu verstehen, wenn die Glasmalereien fehlen würden. Es ist ganz selten, dass uns ein solch ein­heitliches Ensemble noch so geschlossen überliefert ist. Für unser Projekt war die Arbeit am Naum­burger Dom besonders, weil sie von Anfang an mit einem umfangreichen, den Glasmalereien gewid­meten Restaurierungsprojekt verzahnt war, das jüngst abgeschlossen wurde. Im interdisziplinären Dia­log konnten wir nicht nur viel von den Restauratorinnen und Restauratoren lernen, sondern unsere Forschungsergeb­nisse sind auch in Restaurierungsentscheidungen eingeflossen. Das ist natürlich ein idealer Fall. Aber es ist auch über so herausragende Beispiele wie den Naumburger Dom hinaus ein sehr bereichernder Teil unserer Arbeit, dass wir unmittelbar zur Restaurierung und zum Erhalt mittelalterlicher Glasfen­ster beitragen.

Welchen Beitrag leistet Ihr Projekt über die Erfassung hinaus zur Bewahrung von Glasmalereien in ganz Deutschland, die häufig von Umwelteinflüssen bedroht sind?

Als Teil der Bauhülle und aus einem sprichwörtlich zerbrechlichen Material gefertigt, sind Glasfenster stark von Umwelteinflüssen bedroht. Wir lesen in den historischen Quellen immer wieder von hefti­gen „Wettern“, die Fenster zerschlagen haben. Seit der Industrialisierung kommen noch schwere Schädigungen durch aggressive Stoffe in der Luft hinzu. Deshalb glaubte man bei Gründung unseres Projekts nach dem Zweiten Weltkrieg, eine stark gefährdete Kunstgattung dokumentieren und so we­nigstens fotografisch der Nachwelt überliefern zu müssen. Gleichzeitig wurden viele Restaurierungs­anstrengungen unternommen. Gerade diese bereiten heute aber auch Probleme. So wurden früher z. B. Kunststoffe und Klebstoffe zur Konservierung eingesetzt, die sich – wie sich zeigte – unter Sonneneinstrahlung und zunehmender Hitze stark verändern. Auch hier setzen wir an, denn es gehört zu unserer Arbeit, dass wir u. a. durch eingehende Archivrecherchen die Restaurierungsge­schichte der Glasmalereien erforschen und so wichtige Informationen für heutige und spätere Kon­servierungsanstrengungen bieten. Wichtige Grundlagen für Restaurierungen sind dabei oft auch unsere inzwischen sehr reichen Fotoarchive, die ältere Zustände dokumentieren.

Bei unserer Erfassungsarbeit gehen wir nah an die Glasmalereien heran. Sie werden eingerüstet oder sogar ausgebaut, fotografisch dokumentiert und sehr genau untersucht. Oft fallen dabei erst Schädi­gungen auf und es werden Restaurierungsprojekte angestoßen. Da wir flächendeckend arbeiten und auch kleinere, kaum erforschte Orte aufsuchen, hat unsere Arbeit häufig einen mehrfachen Effekt: Wir entdecken bisher zu Unrecht wenig beachtete Glasmalereiwerke und machen auf ihre Bedeu­tung ebenso aufmerksam wie auf eventuelle Bedrohungen. Es ist immer wieder beeindruckend, wel­che Begeisterung das dann bei den Menschen vor Ort wecken und welche Energien zur Erhaltung es freisetzen kann.

Was fasziniert Sie persönlich an Glasmalerei?

Mich fasziniert heute immer noch das, was schon seit dem Mittelalter viele Menschen anspricht, ja zum Staunen bringt: Die einzigartige Ästhetik der Glasmalerei, die eigentlich eine Malerei mit farbi­gem Licht ist und allen Räumen eine besondere, ‚aus der Welt gehobene‘ Atmosphäre gibt. Ich finde aber auch die Geschichte der Glasmalereitechnik spannend. Wir haben hier eine sehr alte, hoch ent­wickelte Technologie, die in nachmittelalterlicher Zeit zunächst in Vergessenheit geriet, im 19. Jahr­hundert wiederentdeckt wurde und in der modernen Kunst zum Teil mit den traditionellen Verfah­rensweisen weitergeführt, zum Teil aber auch experimentell weiterentwickelt wird.

Gibt es bestimmte Glasfenster zu besichtigen, die unbedingt eine Reise wert sind?

Da weiß ich gar nicht, wo anfangen und wo aufhören. Neben Frankreich und England gehört Deutsch­land zu den Ländern mit dem reichsten Bestand an mittelalterlichen Glasmalereien. Hier sind natür­lich die großen Dome und Münster mit umfangreichen Glasmalereizyklen zu nennen: neben Naumburg etwa Köln, Ulm, Halberstadt, Augsburg, Stendal, Erfurt, Freiburg i. Br. Da wären auch Nürnberg mit seinen reich ausgestatteten Pfarrkirchen, die Rathausverglasung in Lüneburg, oder die Marienkirche in Frankfurt (Oder) mit dem berühmten, 2002 aus Russland zurückgekehrten Anti-Christ-Fenster. Aber es gibt auch zahlreiche weniger bekannte, kleinere Orte mit besuchenswerten Glasmalereien: Um nur zwei Beispiele aus unserem engeren Arbeitsbereich zu erwähnen: Die ehemalige Heilig-Blut-Wallfahrtskir­che in Bad Wilsnack, von deren weit über Brandenburg hinausreichender mittelalterlicher Bedeutung ein faszinierender Glasmalereizyklus zeugt, oder die Benediktinerinnenklosterkirche in Neukloster (Mecklenburg-Vorpommern) mit Glasmalereien des 13. Jahrhunderts.

Eine Auswahl dieser Bestände ist über die gedruckten Corpus-Bände hinaus auf unserer Website mit Bild und Text erschlossen. Die Reihe wird über die nächsten Jahre sukzessive erweitert werden und kann als kleiner Reiseführer dienen.

 


Kontakt

Dr. Annette Schaefgen
Leiterin Berliner Büro
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit


030 / 325 98 73 70
annette.schaefgen@akademienunion.de