Grundlagenforschung zur Geschichte des Frühmittelalters. Das Akademieprojekt „Formulae – Litterae – Chartae“
Ob Hochzeitsgaben und Scheidungen, ob Verkaufsschreiben und Schuldscheine, ob Freilassungsurkunden und sogenannte Selbstverkäufe: Im frühmittelalterlichen Westeuropa hat man angesichts dieser und anderer Anlässe so genannte Formulae genutzt. Formulae sind Musterdokumente beziehungsweise Vorlagen für juristische Texte. So etwa für Urkunden, Briefe und etwa für Protokolle. Um die Formulae zu verstehen und und bei Fragen an die frühmittelalterliche Geschichte nutzen zu können, braucht es eine wissenschaftlich hervorragende Edition der Formulae. Das Langzeitvorhaben „Formulae – Litterae – Chartae“ erarbeitet eine solche Neuedition seit Anfang 2017 im Rahmen des Akademienprogramms in Trägerschaft der Akademie der Wissenschaften in Hamburg. Diese Grundlagenforschung sorgt zudem dafür, dass die wertvollen Musterdokumente eine moderne Neuedition auch in digitaler Form erfahren. Wie geht das interdisziplinär besetzte Team vor? Und was macht Formulae überhaupt so spannend? Fragen, die Professor Dr. Philippe Depreux in Folge 12 unseres Podcasts „Wissenschaft als Kompass“ beantwortet.
Depreux ist Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Hamburg und seit 2022 Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Hamburg. Mit Projekt-Beginn im Januar 2017 leitet der Historiker das Langzeitvorhaben „Formulae – Litterae – Chartae. Neuedition der frühmittelalterlichen Formulae inklusive der Erschließung von frühmittelalterlichen Briefen und Urkunden im Abendland (ca. 500 – ca. 1000 n. Chr.)“. Im Zentrum steht die Editionsarbeit. Zum Standard-Prozess gehören vier Schritte, die Projektleiter Philippe Depreux auch im Podcast erläutert: die Transkription, der Textvergleich, die Übersetzung und schließlich das Anfertigen des kritischen Kommentars zur Edition. Das Projektteam besteht aus Wissenschaftlern mit unterschiedlichen fachlichen Hintergründen insbesondere in Geschichte und Philologie, um die Aufgaben der Editionsarbeit kompetent bearbeiten zu können. Bis Ende 2031 ediert und übersetzt das Team um Philippe Depreux rund 1450 Musterdokumente neu, kommentiert sie und macht die Musterurkunden zugänglich sowohl als digitale Edition als auch in Form einer Buch-Edition.
Im Podcast erzählt Depreux, was ihn an den Formulae fasziniert. Er veranschaulicht an Beispielen, welche Einblicke diese Musterdokumente in den frühmittelalterlichen Alltag bieten. Das Forschungsprojekt leistet durch die historisch-kritische Edition wichtige Grundlagenforschung, um in puncto Geschichtsschreibung zu, wie Depreux es formuliert, „genaueren Einschätzungen“ zu gelangen. Die Formulae erlauben darüber hinaus neue Antworten auf Fragen der Sozial-, Rechts- und Mentalitätsgeschichte, auch der Wirtschafts- und Kulturgeschichte.
Das Gespräch fand am 15. Januar 2024 statt.
Shownotes
Mehr zum Langzeitvorhaben „Formulae – Litterae – Chartae“:
https://www.formulae.uni-hamburg.de/
https://www.awhamburg.de/forschung/langzeitvorhaben/formulae-litterae-chartae.html
Mehr über Prof. Dr. Philippe Depreux: https://www.awhamburg.de/mitglieder/ordentliche-mitglieder/detail/prof-dr-philippe-depreux.html
Essay von Prof. Dr. Philippe Depreux: Historische Wahrheit im Spannungsfeld von Fakten, Deutung und Mythos
Prof. Dr. Alice Rio: Legal Practice and the Written Word in the Early Middle Ages. Frankish Formulae, c.500–1000
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