Sichere Entsorgung und Tiefenlagerung von hochradioaktivem Material – Forschungsperspektiven
acatech Diskussion
Das deutsche Standortauswahlverfahren für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle ist erst der Anfang eines langen Prozesses: Bis ein Tiefenlager befüllt und verschlossen werden kann, werden möglicherweise noch über 100 Jahre vergehen. Expertinnen und Experten der deutschen Wissenschaftsakademien diskutieren in einem Papier, wie Forschungslandschaft und Forschung langfristig gestaltet werden können, um den notwendigen Beitrag zum Endlagerprojekt leisten zu können. Besonders aus den hohen Ansprüchen an das Verfahren – partizipativ, wissenschaftsbasiert, transparent, selbsthinterfragend und lernend – folgt: Die nukleare Entsorgungs- und Tiefenlagerforschung muss laut der Arbeitsgruppe interdisziplinär aufgestellt und auch an Universitäten und Hochschulen wieder verstärkt etabliert werden. Noch für lange Zeit brauche es sowohl Fachleute, die aktiv am Endlagerprojekt mitwirken, als auch solche, die den unabhängigen Blick von außen einnehmen.
Während der Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie in Deutschland für das Jahr 2023 vorgesehen ist, bleibt die Entsorgung des hochradioaktiven Materials eine langfristige Aufgabe, die auch zukünftige Generationen betreffen wird und noch bis in die Mitte des 22. Jahrhunderts dauern kann.
Horst Geckeis, Karlsruher Institut für Technologie KIT, leitet das Projekt, an dem Expertinnen und Experten von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (Federführung), der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina e.V. und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften e.V. zusammengewirkt haben. Er sagt: „Zuallererst bedarf es für die Tiefenlagerung einer Langzeitstrategie und Governance. Dazu gehört die Entwicklung einer auf die Zukunft ausgerichteten Forschungskonzeption und einer Forschungslandschaft, die flexibel genug ist, um auf aus heutiger Sicht unvorhersehbare Entwicklungen reagieren zu können.“
Problematisch sei in diesem Kontext, dass die nukleare Entsorgungsforschung an Universitäten und Hochschulen in den letzten Jahrzehnten deutlich an Stellenwert verloren habe. Sie wieder fest zu etablieren, unter anderem durch entsprechende Forschungsförderung, werde eine entscheidende Rolle für den Erfolg der nuklearen Entsorgung in Deutschland spielen. Für Fachkräfte der nächsten Generationen sollten attraktive (Studien-)Angebote und Beschäftigungsaussichten geschaffen werden.
Auch die Einbindung der Gesellschaft nimmt eine wichtige Rolle beim Thema Endlagerforschung ein. Im Diskussionspapier raten die Expertinnen und Experten daher dazu, von Anfang an Laien als Impulsgeber und Fragensteller in die Forschungsvorhaben einzubinden. Idealerweise führe das zu kollektiven Lernprozessen auf beiden Seiten.
Die lange Zeitspanne, in der an der nuklearen Entsorgung gearbeitet werden muss, birgt Ungewissheiten. So galt zum Beispiel ein Krieg in Europa, wie wir ihn heute in der Ukraine erleben, noch vor kurzer Zeit als unwahrscheinlich. Um ein Tiefenlager möglichst robust gegenüber politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen zu gestalten, müssen also auch gravierende gesamtgesellschaftliche Veränderungen, die in den nächsten Jahrzehnten eintreten könnten, berücksichtigt werden. Hier sind die Gesellschafts- und Kulturwissenschaften gefragt, entsprechende Perspektiven zu eröffnen und in den Prozess einzubringen.
Der Blick über die deutschen Grenzen hinweg zeigt aktuell ein vielfältiges Bild zu Entsorgungsprojekten. Teilweise sind diese schon sehr weit fortgeschritten und tiefengeologische Lager für hochradioaktive Abfallstoffe stehen kurz vor der Inbetriebnahme. Die internationale Vernetzung von Forschungsprojekten, die teilweise auch bereits stattfindet, erlaubt den kontinuierlichen Abgleich mit den im Ausland gewonnenen Erkenntnissen und Erfahrungen. Dies wird nach Einschätzung des Expertenteams für die Weiterentwicklung des deutschen Entsorgungsprojekts essenziell sein, um es erfolgreich und überzeugend zu gestalten.
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