Zum Hauptinhalt springen
Potraitfoto Wiebke Hemmerling
Kurzinterview

Kurz nachgefragt... bei Wiebke Hemmerling

April 2023

 

Veranstaltung Salon Sophie Charlotte

Zum Projekt

Zum Newsletter 2 | 2023

Wiebke Hemmerling ist seit 2011 als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Niedersächsischen Akademie der Wissenschaften zu Göttingen im Rahmen des Projektes „Gelehrte Journale und Zeitungen als Netzwerke des Wissens im Zeitalter der Aufklärung“ tätig. Am 13. Mai 2023 wird das Projekt mit einem Stand beim Salon Sophie Charlotte der Berlin-Brandenburgischen Akademie vertreten sein.

Die Gelehrten Journale und Zeitungen werden in der Forschung als „Schlüsselwerke“ der Aufklärung bezeichnet. Warum sind sie so bedeutend für diese Epoche?

Wie kein anderes Medium der Aufklärungsepoche spiegeln die Gelehrten Journale und Zeitungen nahezu den gesamten Wissens- und Kulturaustausch ihrer Zeit wider. Als „Tagebücher der Gelehrten Welt“ gaben sie in Form von Rezensionen, Buchankündigungen, Berichten über wissenschaftliche Entdeckungen, Personalnachrichten und Nachrichten von gelehrten Institutionen Auskunft über so gut wie alle Bereiche und Entwicklungen in der Welt des akademischen und popularisierten Wissens. Sie kreierten damit einen neuen medialen Kosmos an Partizipation und bereiteten das Feld für eine internationale öffentliche Wissenschaftskultur.

Wie und von wem wurden diese Journale rezipiert und konnten sie auch dazu beitragen, Wissen in die breite Öffentlichkeit zu tragen?

Wer sich im 17. Jahrhundert vor dem Erscheinen der Zeitschriften über die zeitgenössischen wissenschaftlichen Diskurse auf dem Laufenden halten wollte, der musste sich durch Buchläden und bibliographische Verzeichnisse wühlen und kostspielige Briefwechsel unterhalten. Bibliotheken waren noch nicht öffentlich, Bücher waren teuer und die Post war lange unterwegs. Wer die Universität verließ, als praktizierender Arzt, Jurist, Beamter, Lehrer oder Geistlicher, dem war der Weg zu den aktuellen Debatten meist abgeschnitten. Für all diese Gelehrten fern der Universitäten waren die vergleichsweise günstigen Zeitschriften, die oft auch getauscht und geteilt wurden, ein echter Segen.

Das Angebot der Journale der Aufklärung an ihre Leserschaft bestand vor allem in der Möglichkeit der Teilhabe an der gelehrten und kulturellen Welt, trotz geographischer Distanz, trotz Zeitmangels und trotz begrenzter pekuniärer Verhältnisse. Und diese Leserinnen und Leser waren sicher ganz entscheidende Multiplikatoren von Wissen in der Gesellschaft des 18. Jahrhunderts. Mit ihren Buchkritiken, Beiträgen und Nachrichten beeinflussten die Journale daher die Wissenschaftsauffassung ebenso nachhaltig wie die Entwicklung einer kritischen Öffentlichkeit und die bürgerlichen Emanzipationsbestrebungen der Zeit.

Sie arbeiten seit 12 Jahren in dem Projekt „Gelehrte Journale und Zeitungen der Aufklärung“. Was soll das Projekt leisten?

Das Tagesgeschäft des Projektes ist die intellektuelle Verortung der in Rezensionen, Beiträgen und Nachrichten aufgefundenen vielfältigen Inhalte. Es geht um die Indexierung des Buch- und Zeitschriftenmarktes der Aufklärung in einer allgemein zugänglichen Forschungsdatenbank. Mit Hilfe dieser Datenbank sind bislang 300 deutschsprachige Zeitschriften und damit ca. 185.000 Beiträge und Nachrichten sowie ca. 165.000 Rezensionen durchsuchbar. Im Rahmen der Erschließung wurden diese sowohl in eine zeitgenössische Wissenschaftsklassifikation eingeordnet als auch mit dem Tenor der Bewertung ausgewiesen. Durch erweiterte und facettierte Suchmöglichkeiten bietet sich der Aufklärungsforschung eine einzigartige Möglichkeit, heterogenste individuelle Forschungsansätze weiterzuentwickeln. Sei es das Interesse an der Entwicklung und Ausdifferenzierung einzelner Wissenschaften, sei es das Interesse an Kontroversen oder Kooperationen, an Institutionen oder Einzelpersonen, an Rezeptions-, Medien- oder Verlagsgeschichte. Es ist das Anliegen des Projektes, die Entstehung und Strukturen der ‚aufgeklärten Wissensgesellschaft‘ sichtbar zu machen.

Haben Sie Lieblingsjournale aus dieser Zeit?

Ich fühle mich sehr zu den Zeitschriften der Frühaufklärung hingezogen. Herausgeber wie Christian Thomasius und Wilhelm Ernst Tentzel experimentieren noch mit dem Format und publizieren ihre Journale in Gesprächsform. Daneben stellte sich schon mit den ersten Zeitschriften angesichts kritischer Rezensionen die Frage nach der Legitimität von Buchkritik. Eine negative Beurteilung von Büchern in aller Öffentlichkeit, jenseits von Streitschriften, stellte ein Novum dar, das einen adäquaten Umgang mit dieser Öffentlichkeit erforderte. Es ist spannend zu verfolgen, wie sich dieser Aushandlungsprozess zur Berechtigung von Kritik über das Jahrhundert hinweg gestaltet.

 


Kontakt

Dr. Annette Schaefgen
Leiterin Berliner Büro
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit


030 / 325 98 73 70
annette.schaefgen@akademienunion.de