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Kurzinterview

Kurz nachgefragt... bei Prof. Dr. Ute Hüsken und Dr. Jonas Buchholz

Januar 2023

 

Zum Projekt

Zum Newsletter 6 | 2022

Seit Sommer 2022 ist das Projekt „Hindu Temple Legends in South India“ (Hinduistische Tempellegenden in Südindien) der Heidelberger Akademie der Wissenschaften Teil des Akademienprogramms. Das auf 16 Jahre angelegte Forschungsvorhaben erschließt die Tempellegenden der südindischen Stadt Kanchipuram. Wir haben mit Forschungsstellenleiterin Prof. Dr. Ute Hüsken und Projektkoordinator Dr. Jonas Buchholz über ihre Arbeit gesprochen.

 

Erzählen Sie uns doch mehr über Ihren Forschungsgegenstand: Was macht die Tempellegenden aus Kanchipuram so besonders? Welche Bedeutung hat dieser Ort?

UH: Traditionell gilt Kanchipuram im südlichsten indischen Bundesstaat Tamil Nadu seit vielen Jahrhunderten als eine der sieben sogenannten Mokshapuris, d. h. als eine der sieben Städte Indiens, die einen direkten Zugang zur Erlösung gewähren: Der Legende nach vervielfacht sich hier die positive Wirkung guten Tuns und die negative Wirkung einer schlechten Tat wird hier durch die besondere Wirkmacht des Ortes neutralisiert. Historisch gesehen handelt es sich um einen der am längsten dauerhaft besiedelten Orte Südasiens, der über viele Jahrhunderte hinweg nicht nur ein wichtiges Zentrum für viele unterschiedliche religiöse Traditionen darstellte, sondern auch etlichen wichtigen südindischen Herrscherdynastien als Hauptstadt diente. Gerade die religiöse Bedeutung der Stadt ist bis heute ungebrochen: Tag für Tag werden die diversen Tempel von Tausenden von Pilgerinnen und Pilgern aus allen Teilen Indiens besucht. Die meisten der in den Texten erwähnten Tempel und heiligen Badeplätze existieren noch heute und die Bedeutung, die die mehr als 150 heiligen Orte der Stadt für die Gläubigen haben, wird erstmals in diesen Tempellegenden (Sanskrit: Mahatmya, Tamil: Talapuranam) formuliert. Das heißt, dass diese Texte, deren Formulierung wohl im 13. und 14. Jahrhundert begann, bis heute vor Ort handlungsleitend sind.

Sie arbeiten nicht nur von Heidelberg aus. Es gibt eine Zweigstelle im indischen Pondicherry in Kooperation mit der École française d’Extrême-Orient (EFEO). Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vor Ort?

JB: Sowohl in Heidelberg als auch in Pondicherry arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an den Texten, die durch das Projekt erschlossen werden sollen. Ohne Frage ist die Zusammenarbeit über die Kontinente hinweg eine Herausforderung, aber die digitale Technik erleichtert zum Glück ja die Kommunikation. Zum Beispiel halten wir zweimal wöchentlich Online-Treffen ab, bei denen Projektmitglieder aus Heidelberg und Pondicherry die Texte gemeinsam lesen und diskutieren. Bei allen Vorteilen, die die Online-Kommunikation bietet, sind aber auch persönliche Treffen unerlässlich. Deshalb fand schon im Oktober 2022 ein Eröffnungsworkshop in Pondicherry statt, bei dem sich das deutsche und das indische Team kennenlernen und gemeinsam Arbeitsabläufe etablieren konnten. Weitere Workshops sind in Planung.

Was wir uns von der Einrichtung der Zweigstelle versprechen, ist eine Kooperation auf Augenhöhe zwischen europäischen und indischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Gleichzeitig ist Pondicherry auch eine hervorragende Basis für Besuche in unserem Forschungsort Kanchipuram, der nur etwa 100 Kilometer entfernt ist. Und nicht zuletzt profitieren wir sehr von dem Zugang zu diversen Bibliotheken und Archiven in Indien, den wir dank des Know-Hows und der Kontakte des EFEO-Teams erhalten.

Ziel des Projekts ist die Erstellung digitaler Editionen der auf Sanskrit und Tamil verfassten Texte. Wie gehen Sie dabei vor und von wem können diese Editionen dann genutzt werden?

JB: Zunächst einmal müssen wir alle Textzeugen aufspüren und digitalisieren. Das sind zum größten Teil Palmblatthandschriften, die in verschiedenen Bibliotheken vor allem in Indien, aber auch in Europa, verstreut sind. Zwar sind die meisten unserer Texte bereits gedruckt worden, aber wir wollen neue digitale Editionen erstellen, die wirklich die gesamte Überlieferung berücksichtigen. In den Handschriften sind die Texte nämlich oft in verschiedenen sehr unterschiedlichen Fassungen überliefert worden – ganz im Gegensatz zu den existierenden Druckausgaben, die den Text auf eine einzige Version reduzieren. Dass die Editionen, die wir produzieren werden, digitale Editionen sind, kommt uns hier sehr zugute, weil wir so verschiedene Textversionen flexibel nebeneinander darstellen können.

Durch unsere Editionen wollen wir die Arbeit mit den Texten auf eine solide wissenschaftliche Basis stellen. Gleichzeitig geht es aber auch darum, die Texte verfügbar zu machen – auch für die lokalen Communities in Kanchipuram, für die sie große Bedeutung haben. Deshalb ist es wichtig, dass die Editionen online frei zugänglich sind. Wir werden zudem auch Übersetzungen und Zusammenfassungen auf Englisch und in modernem Tamil produzieren, um die Texte auch für Nichtspezialisten zugänglich zu machen.

 

Es geht aber nicht nur um Texte … Sie wollen ein multimediales Korpus erschaffen – wie kann man sich das vorstellen?

UH: Die Narrative, die wir in den Texten finden, werden auch auf vielfältige andere Weise überliefert: als Statuen oder Steinreliefs in den Tempeln, als Malereien auf den Tempelwänden, sie werden den Besucherinnen und Besuchern von den Priestern erzählt und oft auch bei Tempelfesten rituell aufgeführt. Das Projekt will nun all diese vielfältigen Überlieferungsformen in Bild-, Ton- und Videodateien zusammen mit den Texteditionen in einem digitalen Korpus zur Verfügung stellen, sodass die Vielfalt der Überlieferung auch Forschenden oder einfach nur Interessierten zugänglich wird: die Texte sind zwar unser Ausgangspunkt, andere Überlieferungsmedien sind jedoch für die Gläubigen vor Ort ebenso wichtig. Diese ‚multimediale‘ Erfahrung soll dem Benutzer durch digitale Verknüpfungen zugänglich gemacht werden. Wir sind der festen Überzeugung, dass diese neue Darstellung auch zu ganz neuen Forschungsfragen und Ergebnissen führen wird.


Kontakt

Dr. Annette Schaefgen
Leiterin Berliner Büro
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit


030 / 325 98 73 70
annette.schaefgen@akademienunion.de