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Porträtfoto von Prof. Dr. Hanna Fischer
Kurzinterview

Kurz nachgefragt... bei Prof. Dr. Hanna Fischer

März 2022

 

Mehr zum Projekt

Zum Newsletter 2 | 2022

Mitte Januar hat die Sprachwissenschaftlerin Prof. Dr. Hanna Fischer ihre Akademie-Professur im Rahmen des Langzeitvorhabens "Regionalsprache.de (REDE)" der Akademie der Wissenschaften und der Literatur | Mainz angetreten. Die Professur für Variation und Wandel des Deutschen wurde am Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas (DSA) gemeinsam von der Mainzer Akademie und der Universität Marburg, an der die Arbeitsstelle des noch bis 2026 laufenden Langfristprojekts angesiedelt ist, eingerichtet. Ziel des Vorhabens ist es, die heutigen Formen des regional geprägten Sprechens in Deutschland zu erschließen und zu beschreiben. Hanna Fischer ist seit 2020 Mitglied der Jungen Akademie Mainz.

Was fasziniert Sie an den Dialekten und Sprachvarianten in Deutschland und welche Bedeutung hat Regionalsprache heute?

Die Vielfalt der deutschen Sprache habe ich schon früh erfahren, da ich in einer bayerischen Familie in Berlin aufgewachsen bin. Dass je nach Situation und Gesprächspartnern bzw. Gesprächspartnerinnen sprachlich variiert wurde, war fester Bestandteil meiner Alltagswelt. Faszinierend finde ich die soziale Bewertung und die Diskurse um die sprachliche Variation: Heißt es „die Anna“ oder „Anna“, „lustich“ oder „lustig“, „größer als“ oder „größer wie“, „Weckmann“ oder „Stutenkerl“? Die Antwort ist in allen Fällen „sowohl als auch“ – und zwar je nachdem, wo im deutschsprachigen Raum man sich befindet und mit wem in welcher Situation kommuniziert wird.

Heute zeigt sich regionale Sprachvariation nicht nur in den Dialekten: Auch die standardorientierte Sprachverwendung enthält zahlreiche regionalsprachliche Merkmale, wie die oben genannten Beispiele zeigen. Diese identifizieren wir schnell als eigene oder fremde Varianten. Das beeinflusst dann, wie wir die Situation (locker?) und unser Gegenüber (sympathisch? schlau?) bewerten, aber auch unser konkretes Handeln: Wem vertrauen wir und wem trauen wir was zu? Aus diesem Grund haben die Regionalsprachen – als Gesamt der regionalen Sprechweisen zwischen Dialekt und Regionalakzent – nach wie vor eine große Bedeutung für unsere Gesellschaft. Bedingt durch die erhöhte Mobilität und die überregionalen Kommunikationsradien verändern sich die Regionalsprachen. Während früher der Dialekt eine große Rolle in der Alltagskommunikation spielte, wird heute vor allem im Regiolekt gesprochen. Dadurch lernen viele Kinder keinen Dialekt mehr. Als „lebendige Kulturformen“ stellen die Dialekte jedoch ein immaterielles Kulturerbe dar, das es zu dokumentieren und zu erforschen gilt.

Sie leiten das sprachbasierte Forschungsdatenmanagement des Projekts REDE – welche digitalen Angebote möchten Sie künftig entwickeln?

Beim Forschungsdatenmanagement im REDE-Projekt geht es um den verantwortungsvollen und nachhaltigen Umgang mit unseren regionalsprachlichen Forschungsdaten: u. a. Sprachaufnahmen, Sprachkarten, Erhebungsformulare, bibliographische Daten und Metadaten. Diese müssen nicht nur nach modernen Standards verarbeitet und archiviert werden, sondern sollen auch für Forschende und die interessierte Öffentlichkeit verfügbar sein. Dafür arbeite ich eng mit den Kolleginnen und Kollegen im Projekt und am Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas zusammen, um ein modernes Repositorium zu erstellen und ein „Korpus der Regionalsprachen“ aufzubauen, die die sprachbasierten Daten aus dem Projekt frei zugänglich machen.

Andererseits entwickeln wir Online-Werkzeuge, die sich insbesondere an Citizen Scientists richten. In wenigen Tagen geht zum Beispiel unsere „Wenkerbogen-App“ online, in der 57.613 Scans von Erhebungsformularen aus der Dialekterhebung von Georg Wenker Ende des 19. Jahrhunderts zur Verfügung stehen. Unsere User können den Erhebungsbogen aus ihrem Heimatort aufrufen und dann in einem eigenen Editor die handschriftlich notierten Dialektübersetzungen abtippen. Durch die Transkriptionen werden die historischen Erhebungsdaten maschinell auswertbar gemacht. Zugleich werden die Bogen für Menschen, die keine Kurrentschrift mehr entziffern können, auf diese Weise lesbar. Für die User sind die Wenkerbogen spannend, da sie Einblicke in die Sprache und Geschichte des Heimatortes geben.

Wie kann man sich Ihren Arbeitsalltag vorstellen? Und welche Rolle spielt die Zusammenarbeit zwischen Universität und Akademie?

Meine Woche beginnt und endet mit vielen anregenden Gesprächen und produktiven Treffen, in denen wir gemeinsam die Arbeitsprozesse im Projekt gestalten und unsere Forschungsfragen weiterentwickeln. Im März startet zudem das DFG-geförderte Graduiertenkolleg „Dynamik und Stabilität sprachlicher Repräsentationen“, das wir gerade intensiv vorbereiten. In dem Graduiertenkolleg werden Fragestellungen aus der Variationslinguistik und der Psycho- und Neurolinguistik verbunden, die auch die Forschung im REDE-Projekt bereichern werden.

Mit der Akademie arbeiten wir eng im Bereich der Projektverwaltung und natürlich im Rahmen der Projektevaluierung zusammen. Als Mitglied der Jungen Akademie erlebe ich die Mainzer Akademie auch noch von einer anderen Seite und genieße den intensiven inhaltlichen Austausch bei den Akademiesitzungen und im Rahmen unserer Arbeitsgruppen. Im Rahmen der Aprilsitzung werden wir eine Podiumsdiskussion zum Thema „Geschlechterparität in der Akademie“ veranstalten, in der über Strategien für mehr Diversität in Akademie, Hochschule und Kunst beraten wird. Ein Thema, das mir persönlich sehr am Herzen liegt.

Was empfehlen Sie jemandem, der aus persönlichem Interesse für die Sprache seiner Region nach Informationen sucht? Gibt es da z. B. eine App, die jeder nutzen kann?

Wer sich für den Dialekt seines Heimatortes interessiert, findet auf der Forschungsplattform www.regionalsprache.de umfangreiche Informationen, z. B. Sprachkarten und Sprachaufnahmen. Alle Daten sind über einen kartenbasierten Zugriff zugänglich. Man kann sich also zum Beispiel „durch den Raum hören“ oder „durch dialektale Landschaften spazieren gehen“. Unser YouTube-Channel „REDE SprachGIS: kurz&kartig“ hilft beim Einstieg in das sprachgeographische Informationssystem und erklärt die wichtigsten Schritte.


Kontakt

Dr. Annette Schaefgen
Leiterin Berliner Büro
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit


030 / 325 98 73 70
annette.schaefgen@akademienunion.de