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Porträt von Andreas Urs Sommer am Schreibtisch
Kurzinterview

Kurz nachgefragt... bei Prof. Dr. Andreas Urs Sommer

Januar 2022

 

Mehr zum Projekt

Zum Newsletter 1 | 2022

Andreas Urs Sommer leitet die Forschungsstelle des Projektes „Nietzsche-Kommentar" der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Gemeinsam mit einem transdisziplinären Forschungsteam erschließt er sämtliche Werke des Philosophen in ihrem geistes- und kulturgeschichtlichen Kontext, um damit eine neue wissenschaftliche Grundlage zum Verständnis von Nietzsches Denken zu schaffen. Die Publikation wird in umfangreichen Bänden veröffentlicht.

Worin liegt die heutige Bedeutung von Nietzsches Werk und welchen Beitrag möchten Sie mit Ihrer Forschung leisten?

Nietzsche ist bis heute eine zentrale intellektuelle Referenzfigur geblieben, und zwar sehr weit über den angestammten Bereich der Philosophie hinaus. Er ist der exemplarische philosophische Irritator, dessen Provokationskraft mit den Jahrzehnten sogar noch steigt, zumal, wenn man ihn nicht vorschnell dogmatisiert. Der Nietzsche-Kommentar entschlüsselt dieses Œuvre, macht seine Entstehung und seine Struktur durchsichtig, gerade auch, indem es seine Voraussetzungen im Detail erschließt. Der Kommentar soll eine historische und kritische, zugleich auch philologische und philosophische Grundlage für die künftige Beschäftigung mit Nietzsches Werken liefern. Bei der Arbeit zeigt sich, dass eine reine Fokussierung auf bestimmte „Hauptlehren“ Nietzsches wie „Wille zur Macht“ oder „Übermensch“ seinem vielgestaltigen, experimentellen Denken nicht gerecht wird. Im laufenden Akademievorhaben geht es allerdings nur um die von Nietzsche publizierten oder die zur Publikation vorbereiteten Werke. Für die Nietzsche-Rezeptionsgeschichte hat sein oftmals verballhornt edierter, immenser Nachlass eine womöglich noch wichtigere Rolle gespielt. Dieser Nachlass harrt noch einer zuverlässigen digital-genetischen Edition und genauen Kommentierung.

 

Wie können wir uns Ihre tägliche Arbeit vorstellen?

Unser Arbeitsalltag ist sehr vielfältig. Die intensive und genaue Lektüre des jeweiligen Textes steht am Beginn und eröffnet einen Fragehorizont, der die Kommentatorin oder den Kommentator in ganz unterschiedliche Richtungen treibt. Ebenso wie es darum geht, die literarische Machart des Textes genau zu beschreiben, ist es notwendig, seine argumentative Struktur zu rekonstruieren. Entscheidend ist es überdies, den jeweilige Text in den gesamten Denkzusammenhang Nietzsches zu stellen, aber ihn vor allem auch im Kontext seiner Zeit zu lesen. Nietzsches Texte reagieren häufig unmittelbar auf Fragen und Probleme, die ihm aus Lektüren bekannt sind. Allerdings pflegt er diese Zusammenhänge zu verwischen. Daher ist es entscheidend, sich in Nietzsches eigene Lektüren zu vertiefen. Der Arbeitsalltag also: Intensives Lesen, intensives Denken, intensives Schreiben.

 

Die Forschungsstelle setzt sich aus Mitarbeitenden verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen zusammen. Welcher Disziplinen neben der Philosophie bedarf es, um Nietzsches Gesamtwerk zu verstehen und was können die verschiedenen Fächer hierzu beitragen?

Nietzsche war von Haus aus Philologe und wurde nie zu einem „Fachphilosophen“ in einem akademischen Sinn. Seine Werke sind entsprechend auch keine fachphilosophischen Abhandlungen, sondern literarisch höchst anspruchsvolle Werke, die überdies aus unterschiedlichsten Wissensfeldern jenseits der Philosophie schöpfen. Für die Kommentierung ist daher ein interdisziplinäres Team unerlässlich. Wir benötigen abgesehen von der Philosophie und der Germanistik, die uns die Machart der Texte erschließt, Kompetenzen in der Altphilologie ebenso wie in der Musikwissenschaft, in der Theologie und der Religionswissenschaft ebenso wie in der Ethnologie und Anthropologie, in der Naturwissenschaft(sgeschichte) ebenso wie in der Medizin und in der Psychologie, in der Romanistik ebenso sehr wie in der Slawistik. Nietzsches lnteressensspektrum ist ungemein weit aufgefächert. Angesichts der beschränkten Kompetenzen in einem kleinen Team ziehen wir zusätzliche Fachexpertise punktuell heran. Der Nietzsche-Kosmos ist fast unerschöpflich.


Kontakt

Dr. Annette Schaefgen
Leiterin Berliner Büro
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit


030 / 325 98 73 70
annette.schaefgen@akademienunion.de