
Kurz nachgefragt... bei Prof. Dr. Andrea Rapp
Akademienvorhaben Historische Fremdsprachenlehrwerke digital
Prof. Dr. Andrea Rapp ist seit dem 6. Juli im Vorstand der Akademienunion und wurde bereits Ende Juni in das Amt der Präsidentin der Akademie der Wissenschaften und der Literatur | Mainz gewählt. Seit 2010 ist sie Professorin für Germanistik – Computerphilologie und Mediävistik an der Technischen Universität Darmstadt. Sie ist außerdem Projektleiterin des Akademienvorhabens „Historische Fremdsprachenlehrwerke digital“.
Herzlichen Glückwunsch zur doppelten Wahl. Wie fühlen Sie sich?
Ganz herzlichen Dank! Ich fühle mich sehr gut – es ist einerseits eine große Ehre, wenn man ein solches Amt und eine solche Aufgabe anvertraut bekommt. Das ist ja nichts, wofür man sich bewerben kann oder was man gezielt anstrebt, sondern die Institution kommt auf einen zu und macht ein Angebot. Andererseits liegt darin natürlich auch eine immense Herausforderung, die ich neben meiner regulären Professur bewältigen muss. Dabei helfen die großartigen Teams an der Mainzer Akademie und in der Akademienunion, die offene und konstruktive Arbeitsweise der Kolleg*innen und die Freude an den Gestaltungsmöglichkeiten.
Sie bewegen sich an den Schnittstellen zwischen analoger und digitaler Wissenschaft mit Ihren Forschungsschwerpunkten Germanistik – Computerphilologie und Mediävistik. Wird sich diese Kombination auch in Ihrem Amt als Vizepräsidentin der Akademienunion widerspiegeln? Welche Ziele haben Sie sich für Ihre Amtszeit gesetzt?
In meiner Forschung habe ich häufig die Schnittstellen zwischen Themengebieten, Fragestellungen und Methoden gesucht. In mittelalterlichen Handschriften interessieren mich etwa die Zusammenhänge zwischen Texten und ihren Illustrationen, im Bereich der Sprachwissenschaft die funktionalen oder regionalen Sprachvarietäten, z.B. in der mittelalterlichen Urkundensprache. Hier knüpft auch die Briefforschung an, wobei ich mich vor allem in der Liebesbriefforschung engagiere. Die Entwicklung digitaler Infrastrukturen und Verfahren geht damit immer Hand in Hand. Dadurch habe ich auch ein Verständnis für andere Disziplinen, nicht nur in den Geisteswissenschaften, sondern auch in den Sozial-, Natur- oder Ingenieurwissenschaften entwickelt. Ich hoffe, dass mir das bei meinem Amt zu Gute kommt, denn ich sehe es vor allem auch als eine Vermittlungs- und Kommunikationsaufgabe.
Die Akademien spielen in unserem wissenschaftlichen Ökosystem eine wichtige Rolle: Zum einen können sie als Orte der Forschung beitragen zu den aktuellen Herausforderungen wie Nachhaltigkeit, Künstliche Intelligenz und Digitalität und dabei nicht nur, aber ganz besonders die Potenziale der Geisteswissenschaften einbringen. Damit meine ich nicht nur die kritisch-reflektierende Begleitung, sondern die konkrete digitale Transformation von Forschung und Gesellschaft, etwa dadurch, dass Akademievorhaben seit nunmehr rund 15 Jahren eine verpflichtende digitale Komponente haben. Das hat zur Folge, dass sich an den Akademien bzw. in den Vorhaben eine breite Kompetenz bei der Anwendung und Entwicklung digitaler Methoden und auch bei der erforderlichen Anpassung an Technologiewandel entwickelt. So wenden einige Vorhaben bereits KI-Methoden bei der Erschließung, Annotation und Erforschung von Kulturgut an. Hier möchte ich mich dafür einsetzen, dass diese Kompetenzen nicht nur erhalten, sondern weiterentwickelt und nachhaltig gesichert werden.
Akademien sind zum anderen aber auch Begegnungsorte zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Hier möchte ich gerne meine Erfahrungen in der Open-Science-Bewegung, der Wissenschaftskommunikation und den Citizen Science einbringen und den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft stärken.
Sie sind außerdem Projektleiterin im Akademienprojekt „Historische Fremdsprachenlehrwerke digital“. Was bedeutet das Akademienprogramm für Sie und Ihre Forschung?
Das Akademienprogramm bietet die großartige Möglichkeit, ein Thema bzw. eine Forschungsfrage so umfassend und gründlich zu bearbeiten, wie es in Projekten anderer Fördergeber mit den häufig üblichen Dreijahres-Förderungen einfach nicht möglich ist. Im Projekt FSL digital, das ich gemeinsam mit Natalia Filatkina von der Uni Hamburg und Horst Simon von der FU Berlin und unseren Mitarbeiter*innen bearbeite, untersuchen wir ein großes Korpus historischer gedruckter Fremdsprachenlehrwerke von den Anfängen bis 1700 und können damit Praktiken der Fremdsprachenvermittlung analysieren und beschreiben, die uns oft sehr modern vorkommen. Wir können damit empirisch belegte Aussagen zur – weit verbreiteten und ganz alltäglichen – Mehrsprachigkeit in Europa, zur Sprachenvariation und zu interkulturellen Begegnungen machen.
Faszination Mittelalter – Gibt es eine Annahme über diese Zeit, die Sie gerne revidieren würden oder einen Fakt, den die wenigsten wissen, aber ein wichtiger Bestandteil dieser Epoche war?
Wo soll ich da anfangen? ‚Mittelalterlich‘ als Charakterisierung wird ja oft verwendet, wenn man etwas herabsetzen möchte, wenn man es als nicht rational, nicht aufgeklärt, als dumpf und ‚finster‘ charakterisieren möchte. Natürlich gibt es solche Haltungen und Einstellungen zu allen Zeiten. Vor allem aber gibt es auch das strahlende, leuchtende, prächtige Mittelalter, in dem einige der beeindruckendsten Bauwerke (Kathedralen), Kunstwerke (das Ada-Evangeliar, der Genter Altar) und Texte (der Parzival) entstanden sind. Das Individuum findet seine Stimme mit einigen der interessantesten literarischen Figuren (Gyburc) in einer der schönsten Sprachen (schœne und schœner danne golt).
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Dr. Annette Schaefgen
Leiterin Berliner Büro
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