
Kurz nachgefragt... bei Dr. Elena Kosina
Corpus Vitrearum International
Projekt des Monats Februar | Himmel auf Erden: Mittelalterliche Glasmalerei
Dr. Elena Kosina ist Kunsthistorikerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin beim interakademischen Vorhaben Corpus Vitrearum Deutschland in Freiburg am Breisgau (Arbeitsstelle der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz). Nach der Publikation ihres CVMA-Bandes für Niedersachsen 2017 ist sie mit der Erfassung der Glasmalereien in Rheinland-Pfalz und im Saarland für das CVMA betraut. Seit 2022 ist Elena Kosina wissenschaftliche Sekretärin des Nationalkomitees des CVMA Deutschland.
Sie haben in Kunstgeschichte promoviert, was fasziniert Sie an den Glasmalereien? Wünschen Sie sich auch manchmal einen anderen Forschungsgegenstand?
Glas als Material und Medium hat mich schon immer fasziniert. Seitdem ich für mich die mittelalterliche Glasmalerei als Arbeits- und Forschungsgebiet entdeckt habe, kann ich mir beruflich nichts anderes vorstellen – vielleicht mit Ausnahme der Restaurierung von Glasmalerei.
Vom 15. bis 19. Juli 2024 findet in Erfurt und Naumburg das internationale Kolloquium und Forum des Corpus Vitrearum unter dem Motto „Sichtbarkeit“ statt. Viele Menschen besichtigen eindrucksvolle Kirchen nur um deren Glasmalereien zu bestaunen. Was bedeutet Sichtbarkeit in Bezug zur Glasmalerei für Sie? Und wie wird es im Kolloquium behandelt?
Uns schien als Thema der Tagung das allgegenwärtige Schlagwort „Sichtbarkeit“ sowohl in der technisch-konservatorischen als auch in der kunsthistorischen Perspektive besonders vielversprechend. Denn als fester Bestandteil der Architektur kann ein Glasfenster je nach Einbausituation „gesehen“ oder auch „nicht gesehen“ werden. Somit verrät bereits der Platz und das Maß an „Sichtbarkeit“ einer Darstellung, eines Stifterbildes, einer Inschrift oder eines Ornaments in der Glasmalerei ganz viel über ihre Funktion, Bestimmung und Gewichtung in diesem Sakralraum, die im Laufe der Zeit wiederum weichen oder auch bewusst verändert werden können.
Schon die natürliche Lichtdurchlässigkeit des Glases diente dazu, dem darauf Dargestellten Immaterialität zu verleihen oder transzendente Inhalte zu vermitteln. Der durch natürliche Alterung und Verschmutzung bedingte Verlust dieser Fähigkeit und immer neue technische Versuche, dem entgegenzuwirken, gehören nach wie vor zu den Kernfragen der Glasmalereirestaurierung. Darüber hinaus nimmt im konservatorischen Diskurs der letzten Jahre der Wunsch nach Wiedersichtbarmachung verlorener oder stark veränderter Kunstwerke zu, ebenso wie die Wiederherstellung und Präsentation fragmentarisch erhaltener Glasmalereien. Die Zusammenarbeit von Kunsthistorikerinnen und -historikern und Restauratorinnen und Restauratoren kann auf diesem Themengebiet also ihr ganzes interdisziplinäres Potenzial entfalten, das neben architektur- und kunsthistorischen auch natur- und digitalwissenschaftliche Ansätze einbezieht.
Angesichts massiver Umweltveränderungen u.a. durch den Klimawandel oder Kriegsgeschehen ist auch das Kulturgut Glasmalerei erheblichen Gefahren ausgesetzt. Wie begegnen Sie und natürlich auch das Projekt diesen Herausforderungen?
Selbstverständlich stellt sich das Corpus Vitrearum sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene den Herausforderungen der Gegenwart. Während und unmittelbar nach der Pandemie wurden in allen Nationalkomitees verstärkt Wege und Methoden der Digitalisierung in Forschung und Edition sowie der Ausbau von intern und öffentlich zugänglichen, kompatiblen Bild- und Datenbanken diskutiert. Als Resultat dieser Bestrebungen wurde eine internationale Arbeitsgruppe, die Scientific Unit for Digital Resources of the Corpus Vitrearum, etabliert, welche seit vier Jahren aktiv an der Umsetzung dieser arbeitet.
Während mit Klimawandel und Umweltverschmutzung einhergehende Gefahren für die Glasmalerei schon seit 1970er-Jahren gewissermaßen ein Dauerthema sind, bedürfen durch Kriegshandlungen drohende Zerstörungen von Kulturgütern einer schnellen und wirksamen Reaktion. Innerhalb kürzester Zeit nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine hat das Internationale Komitee für Restaurierung die Leitlinien zum Schutz und zur Sicherung, der durch Krieg gefährdeten Glasmalereien in englischer und ukrainischer Sprache zusammengestellt (Securing Stained Glass in War) und über alle zugänglichen Kontakte und Gremien in der Ukraine verbreitet. Das kunsthistorische International Board, geleitet von Prof. Tim Ayers, arbeitet mit Nachdruck daran, ein ukrainisches Nationalkomitee des Corpus Vitrearum ins Leben zu rufen und parallel dazu ein wissenschaftliches Inventar der bestehenden und bereits vernichteten historischen Glasmalereien in der Ukraine auf die Beine zu stellen. Die ukrainische Kunsthistorikerin und Glaskünstlerin Dr. Oksana Kondratyeva wird im Rahmen unserer Tagung in Naumburg das Projekt vorstellen.
Wir freuen uns sehr auf die bevorstehende länder- und fachübergreifende Veranstaltung des Corpus Vitrearum und sind sehr gespannt auf die Diskussionen und neuen Ergebnisse im Bereich der Kunst, Geschichte, Technik und Konservierung der Glasmalerei.
Das Forschungsvorhaben CVMA wurde 1952 mit dem Ziel gegründet, das dezimierte Erbe der mittelalterlichen Glasmalerei systematisch zu erfassen und wissenschaftlich zu dokumentieren. Es vereint derzeit Fachleute aus den Bereichen Kunstgeschichte, Restaurierung und Denkmalpflege aus 14 aktiven Mitgliedsländern weltweit. Die Vertreterinnen und Vertreter dieser Gemeinschaft treffen sich alle zwei Jahre an wechselnden Tagungsorten, um aktuelle Ideen und Forschungsergebnisse auszutauschen und die anstehenden Probleme rund um die Glasmalereiforschung und -erhaltung zu diskutieren. Seit 1982 hat sich zudem ein ebenfalls weltweites Netzwerk im Bereich der Glasrestaurierung und -herstellung sowie der technischen Expertise etabliert: das International Scientific Committee for the Conservation of Stained Glass.
In diesem Jahr übernimmt nun das deutsche Nationalkomitee des CVMA (maßgeblich getragen durch die CVMA-Projektstellen der Akademie der Wissenschaften und Literatur | Mainz und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften) nach 20 Jahren wieder die Gastgeberrolle und fügt beide Teile der Fachcommunity zusammen. Im Juli finden das 31. Kolloquium des Corpus Vitrearum und das 12. Forum für die Konservierung und Technologie von historischen Glasmalereien als gemeinsame Veranstaltung statt.
Weitere Interviews
Kontakt
Dr. Annette Schaefgen
Leiterin Berliner Büro
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
030 / 325 98 73 70
annette.schaefgen@akademienunion.de