Kurz nachgefragt... bei Dr. Claudia Heine
November 2022
Im Oktober wurde der jüngste Band der „Kritischen Ausgabe der Werke von Richard Strauss“ der Bayerischen Akademie der Wissenschaften mit dem renommierten Musikeditionspreis „Best Edition 2021/2022“ ausgezeichnet. Editorin des Bandes zu Strauss’ „Salome: Weitere Fassungen“ ist die Musikwissenschaftlerin Dr. Claudia Heine, die mit ihrer Arbeit nun gleich zwei bisher nahezu unbekannte Fassungen eines der wichtigsten Werke des Komponisten für die Musikpraxis zugänglich macht.
Was macht die Oper „Salome“ von Richard Strauss so besonders und welche Bedeutung hat sie für das Gesamtwerk des Komponisten?
Mit „Salome“ gelang Strauss der Durchbruch auf der internationalen Opernbühne. Bis heute gilt sie als Schlüsselwerk der deutschen Operngeschichte des 20. Jahrhunderts. Gleich mehrere Aspekte machten dieses Werk wegweisend: Es war das erste deutsche Bühnenwerk, dem ein Theaterstück in Form eines Prosatexts zugrunde lag (der Fachbegriff lautet: Literaturoper), die Musik und ihre komplexe Harmonik lotete die Grenzen der Tonalität aus, und die Orchesterbesetzung war so groß wie nie zuvor in der deutschen Operngeschichte: dreifache Bläserbesetzung, sechs Hörner, ein umfangreiches Schlagwerk und viele Streicher – insgesamt mehr als 100 Personen im Orchester. Strauss verwendete außerdem als Erster das gerade neu erfundene Heckelphon und das damals noch unübliche und somit exotische Xylophon. Das alles passte kaum in die Orchestergräben der Opernhäuser. Außerdem war „Salome“ von Oscar Wilde ein skandalträchtiges Theaterstück. All das führte zu einer unglaublichen Spannung im Vorfeld der Uraufführung. Diese war ein großer Erfolg; bis heute erfreut sich das Werk einer ungebrochenen Popularität.
Was waren die besonderen Herausforderungen bei der Editionsarbeit und mit welchen Methoden sind Sie diesen begegnet?
Da „Salome“ sehr bekannt ist, ist es erstaunlich, dass wir neben der „Originalversion“ gleich zwei in Vergessenheit geratene Fassungen präsentieren können – eine von Strauss selbst eingerichtete „Französische Fassung“ von 1905/06 und die „Dresdner Retouchen-Fassung“ von 1929. Für die französische Version komponierte Strauss die Gesangslinien komplett neu. Die „Dresdner Retouchen-Fassung“ ist eine Einrichtung für lyrischen Sopran in der Titelrolle. Hierfür hat Strauss an bestimmten Stellen manche Stimmen herausgestrichen und die Lautstärke des Orchesters zurückgenommen. Diese Version war ab 1930 Strauss’ bevorzugte Aufführungsvariante.
Für beide Fassungen war die Recherche gleichermaßen aufregend: Für die Französische Fassung konnten wir die wohl weltweit einzige zugängliche historische Partitur von 1906 in der Library of Congress in Washington aufspüren; sie lag dort zuvor völlig inkognito. Und die „Retouchen“ waren knifflig, weil sie nur handschriftlich und in mehreren Varianten überliefert waren. Erst war uns gar nicht klar, welche Bedeutung sie überhaupt haben. Und: Welche Version(en) ist oder sind überhaupt authentisch? Mithilfe zeitgenössischer Briefe und durch den Vergleich aller Varianten konnte ich diese Fragen glücklicherweise fast vollständig beantworten.
Woran arbeiten Sie gerade? Welche Werke Strauss’ werden wir demnächst aus neuem Notenmaterial auf den Konzert- und Opernbühnen erleben können?
Derzeit arbeite ich an der Edition der „Frau ohne Schatten“ op. 65, einer Oper von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal, die vor und während des Ersten Weltkriegs entstand und im Oktober 1919 uraufgeführt wurde. Es ist ein in verschiedener Hinsicht monumentales Werk, das mich noch eine Weile beschäftigen wird.
Noch in diesem Jahr werden die von meinen Kollegen erarbeiteten Notenbände zur Tondichtung „Tod und Verklärung“ und den Liedern ab op. 66 erscheinen. Beide Bände werden sehr interessant für die Musikpraxis sein: „Tod und Verklärung“ stellt erstmals einen konsolidierten Notentext vor, der auch das von Strauss in den 1940er Jahren verfasste zweite Autograph berücksichtigt. Somit konnten viele Fehler korrigiert werden. Der Liederband enthält unter anderem den sehr bekannten Liederzyklus „Der Krämerspiegel“, der bisher in nur sehr fehlerbehaftetem Notenmaterial vorlag und nun erstmals – das Autograph als Grundlage verwendend – umfassend revidiert vorgelegt wird. Hier darf man auf die vielen Korrekturen gespannt sein.
Weitere Interviews
Kontakt
Dr. Annette Schaefgen
Leiterin Berliner Büro
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
030 / 325 98 73 70
annette.schaefgen@akademienunion.de