Kurz nachgefragt... bei Prof. Dr. Daniel Göske
Daniel Göske, der als Professor für Literaturwissenschaft / Amerikanistik an der Universität Kassel lehrt, ist der Vizepräsident der Akademienunion und wurde in seinem Amt als Präsident der Niedersächsischen Akademie der Wissenschaften zu Göttingen im Frühjahr 2024 für eine weitere Amtszeit gewählt.
Sie sind in der Akademienunion unter anderem für den Bereich Internationales zuständig. Darunter fällt auch ALLEA, ein Zusammenschluss von 50 Akademien aus 40 europäischen Ländern, der dieses Jahr sein 30-jähriges Bestehen feiert. Welchen Stellenwert haben solche Verbünde? Können Sie uns Beispiele von Ideen, Projekten, Synergien aus dieser Zusammenarbeit nennen?
Wissenschaft betreibt man heute nicht mehr auf regionaler oder nationaler Ebene. Man muss um Ressourcen und Aufmerksamkeit kämpfen, um sie betreiben zu können. ALLEA gibt ihren Mitgliedsakademien und der Idee freier, exzellenter Forschung generell in Europa eine Stimme. Sie engagiert sich auch für die Rahmenbedingungen gewissenhafter Wissenschaft (Freiräume, ethische Standards, Diversität, Inklusivität usw.). Synergien und Projekte entstehen in Arbeitsgruppen, Expertengremien, gemeinsamen Veranstaltungen. Diese haben oft auch das Ziel der Politikberatung -- und der Konfrontation einer nicht immer aufgeschlossenen Gesellschaft mit unangenehmen Wahrheiten. Daraus entstehen auch zahlreiche Publikationen, z.B. zu Themen wie den „Intellectual Property Rights“, dem „European Code of Conduct for Research Integrity“ oder dem „International Sharing of Personal Health Data for Research“. In diesen Arbeitsgruppen arbeiten unsere Delegierten mit. Ohne diese wäre alles nichts. Denn es kann ja nicht um wohlfeile Verlautbarungsprosa gehen. Unsere Delegierten bringen ihre Expertise ein, die ALLEA bündelt und vermarktet diese, auf internationaler Ebene. Und durch den Kontakt zu den internationalen Schwesterakademien von ALLEA und anderen Verbünden weitet sich unser aller Horizont. Wer sich international vernetzt, merkt dabei ja auch, wer er eigentlich ist oder sein will.
Auch unser Akademienprogramm ist von internationaler Forschungsarbeit geprägt. Was können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler daraus mitnehmen? Wie beeinflusst das ihre Arbeit?
Sehr viele unserer Akademieprojekte wären ohne „ausländische“ und nichtdeutsche Expertise undenkbar. Da muss man sich nur einmal die Themen, unter anderem Prize Papers oder die Digitale Gesamtedition und Übersetzung des koptisch-sahidischen Alten Testaments, ansehen. Und wie sehr die enge Kooperation in den Arbeitsstellen und darüber hinaus das gemeinsame Forschen, aber auch das Denken jedes Einzelnen prägt, merkt man, wenn sich unsere Projekte einem nicht nur fachwissenschaftlichen Publikum öffnen. Oder wenn man, nach getaner Arbeit, ein Fest feiert und dabei die aus den unterschiedlichsten Kochtraditionen stammenden Mitbringsel probiert.
In Ihrer Arbeit spielen kulturelle Unterschiede eine große Rolle. Wie geht man auf dem internationalen Wissenschaftsparkett vor?
Am besten nicht als deutscher Besserwisser. Man informiert sich im Vorhinein über die internationalen „Tanzpartner“, ihre Traditionen und die Rahmenbedingungen ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Und erst, wenn man in Bewegung kommt und das Wissenschaftsparkett knarzt und quietscht, erzählt man, beiläufig (und leise dankbar für die deutschen Fördersysteme) von der eigenen Situation. Ich war gerade mit einer niedersächsischen Delegation in Schottland. Dort sind die Universitäten und Akademien, auch die noble Royal Society of Edinburgh, sehr geschickt in dem, was man auf Deutsch oft etwas hochnäsig „Selbstvermarktung“ nennt. Das ist auch nötig, denn der Staat gibt auf der Insel viel weniger Geld aus als bei uns. Die Royal Society of Edinburgh (1783 gegründet) hat 1.800 Fellows, keineswegs nur Forschende, und man kann sich auch selbst bewerben. Die Niedersächsische Akademie, 1751 als Königliche Societät der Wissenschaften zu Göttingen gegründet, hat nur ca. 350 ordentliche und korrespondierende Mitglieder und wählt, in einem streng geheimen Prozess, ausschließlich herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hinzu. Man lebte aber schon damals nicht in einem südhannöverschen Elfenbeinturm. Knapp drei Jahre nach der Gründung in Edinburgh wählten die Göttinger die ersten schottischen „Korrespondenten“ hinzu.
Als Literaturwissenschaftler und Übersetzer, welche Buchempfehlungen können Sie uns mitgeben? Gibt es Klassiker, die jeder einmal gelesen haben sollte?
Zeitgenössisches: Wer sich traut, sollte Serhji Zhadans Internat (2018) oder Himmel über Charkiw (2022) lesen. Der Autor, Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels, kämpft jetzt für sein Land und Europa an der Front. Wer etwas über die farbigen Schattenseiten der Banlieues von Paris wissen will, wird in Bannmeilen (2024), einem wunderbaren „Roman in Streifzügen“ der Dichterin Anne Weber fündig. (Von ihr kann man alles lesen.) Klassiker? Teile der jüdischen und christlichen Bibel: Genesis und Exodus, Hiob und Psalmen, Paulus und Lukas, vor allem die Weihnachtsgeschichte, dazu die 19. Sura aus dem Koran. Was sonst? Homers Odyssee natürlich, am besten laut zu lesen, so wie Miltons Paradise Lost und Melvilles Moby-Dick. Dann: Ulysses (nur Mut!), Virginia Woolfs To the Lighthouse – und all die anderen modernen Klassiker. Wer viel liest, hat mehr vom Leben.
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