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Projekt des Monats

September | Gebärdensprache: Akademieprojekt erforscht nun Sprachwandel in der jungen Generation

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Neue Erhebung mit jungen Erwachsenen

Digitales Wörterbuch (DW-DGS)

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Institut für Deutsche Gebärdensprache der Universität Hamburg

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Am 23. September ist der Internationale Tag der Gebärdensprache – jedes Jahr werden die mehr als 300 Gebärdensprachen aus aller Welt an diesem Tag gewürdigt. Ein guter Zeitpunkt, der Deutschen Gebärdensprache mehr Sichtbarkeit zu verschaffen und jetzt auch ihre Veränderungen zu erforschen.

Jede Sprache wandelt sich – so auch die Gebärdensprachen. Schätzungen zufolge wird die Deutsche Gebärdensprache (DGS) von etwa 80.000 bis 100.000 tauben und hörbehinderten Menschen als primäre Sprache genutzt. Dennoch war sie lange Zeit weder erfasst noch dokumentiert und entsprechend wenig erforscht. Im Jahr 2009 hat sich das geändert – dank des einzigartigen Langzeitprojektes „Entwicklung eines korpusbasierten elektronischen Wörterbuchs Deutsche Gebärdensprache – Deutsch“ oder kurz: DGS-Korpus-Projekt der Akademie der Wissenschaften in Hamburg.

 

Deutsche Gebärdensprache erstmals erfasst und dokumentiert

Das Akademieprojekt ist am Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser (IDGS) an der Universität Hamburg angesiedelt. Es widmet sich der Dokumentation und Erforschung der Deutschen Gebärdensprache, sammelt gebärdensprachliche Texte von tauben und hörbehinderten Menschen und stellt diese der Öffentlichkeit zur Verfügung. „Im Rahmen unseres Projektes filmten zwischen 2010 und 2012 gehörlose Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an 12 Orten 330 Gehörlose aus ganz Deutschland beim Kommunizieren in Deutscher Gebärdensprache“, erläutert Prof. Dr. Annika Herrmann, die zusammen mit ihrem Kollegen Thomas Hanke das DGS-Korpus-Projekt der Akademie der Wissenschaften in Hamburg leitet. „Dabei sind über 550 Stunden Videomaterial entstanden, die zeigen, wie diese Sprache verwendet wird. Mit diesen Aufnahmen wurde die Deutsche Gebärdensprache zum ersten Mal systematisch erfasst, darunter auch lexikalische Varianten aus unterschiedlichen Regionen“, so Herrmann weiter.

Deutsche Gebärdensprache online

Auf Basis dieser repräsentativen Daten entsteht ein digitales Wörterbuch der Deutschen Gebärdensprache, das bereits online ist. Es spiegelt die Alltagssprache der tauben Menschen in ganz Deutschland wider und bildet zugleich die Vielfalt und Komplexität der DGS ab. Erfasst werden nicht nur die einzelnen Gebärden, sondern auch deren Verwendung in verschiedenen Kontexten und grammatikalischen Strukturen (siehe dazu den Beitrag „Ein Wörterbuch für Gebärdensprache“). „Wir haben bisher viel erreicht: Das DW-DGS ist ein grundlegendes Nachschlagewerk für alle, die die DGS verwenden oder sich für sie interessieren. Natürlich gab es vor uns andere Korpusprojekte, nicht aber in dieser Dimension. Wir sind unter den Top drei weltweit“, berichtet Herrmann. Die Forschungsarbeiten seien jedoch nicht nur für die deutschen Communities interessant, sondern auch für die internationale Forschungslandschaft: „Wir verknüpfen partizipative Forschung und Öffentlichkeitsarbeit und machen die Ergebnisse digital sicht- und nutzbar.“ Für diese Erfolge wurde das Projekt u.a. im Jahr 2023 mit dem Kulturpreis Deutsche Sprache ausgezeichnet.

Schon jetzt ist klar: Das DGS-Korpus-Projekt fördert das Verständnis und die Anerkennung der Gebärdensprache als vollwertige und eigenständige Sprache. Doch damit nicht genug: Dank der Dokumentation und Erforschung der Deutschen Gebärdensprache sind weitere Forschungen überhaupt erst möglich.

 

 

Neue Erhebung mit jungen Erwachsenen

Anfang Januar 2024 fiel der Startschuss für die nächste Projektphase des DGS-Korpus-Projekts: Im Rahmen einer vierjährigen Verlängerung der Projektlaufzeit richtet sich der Blick auf die junge Generation. Untersucht und erfasst wird die Gebärdensprache der Jahrgänge 1993–2007. „Die Erhebung neuer Korpusdaten mit jungen Leuten ist besonders wichtig, weil diese Generation ganz neue Spracherfahrungen gemacht hat, zum Beispiel bezüglich Technik, Schule, Inklusion und Reisen“, erläutert Julian Bleicken, der seit 2015 Mitarbeiter im Akademieprojekt ist. „Diese Erhebungen ermöglichen einen spannenden, neuen Blick auf den Sprachwandel.“

Forschung in und mit den Gebärdensprachcommunities

Wie auch zuvor findet die Forschung zusammen in und mit den Gebärdensprachcommunities statt. Ergänzend zu den 330 Teilnehmenden der früheren Erhebung kommen nun noch 72 junge Personen dazu. „Die jungen Moderatorinnen und Moderatoren aus der Gebärdensprachgemeinschaft und aus den verschiedenen Regionen unterstützen uns bei der Suche nach Teilnehmenden für die bald startende Erhebung im Videostudio in Hamburg“, so Bleicken. Dann werden wieder Videos gedreht, Interviews durchgeführt, Erzählanlässe gegeben, um die Alltagssprache der jungen Generation zu erforschen.

„Wir arbeiten mit einem partizipativen Ansatz daran, die Deutsche Gebärdensprache und das kulturelle Erbe einer Gemeinschaft zu dokumentieren. Mit der neuen Kohorte der jungen Erwachsenen machen wir nun Daten einer gesamten Generation für alle zugänglich, für die Gesellschaft und die Communities innerhalb, aber vor allem auch außerhalb der Forschung“, sagt Projektleiterin Herrmann. Sie betont: „Wir sind gespannt, zu erforschen, wie sich die Mobilität, die Internationalisierung durch die sozialen Medien und der Einfluss verschiedener Gebärdensprachen auf die Deutsche Gebärdensprache auswirken.“

 

Katrin Schlotter