Oktober | Stadt, Land, Hof: Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800)
Onlineportal „Residenzstädte im Alten Reich“
Abgeschlossenes Projekt: "Hof und Residenz"
Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich - Digitalversion
Zahl der Woche: 500 Forscherinnen und Forscher weltweit
Wie baut und gestaltet man Städte, in denen es sich gut leben lässt? Rund um dieses Thema dreht sich der Akademientag 2024 „In Städten gesund leben – in gesunden Städten leben“. Wertvolle Einblicke in die Anfänge der Stadtentwicklung präsentiert das Projekt der Niedersächsischen Akademie der Wissenschaften zu Göttingen zu Residenzstädten im Alten Reich (1300-1800).
In der Vormoderne waren Residenzstädte weit mehr als nur Wohnorte der Mächtigen – sie entwickelten sich zu pulsierenden Zentren, die das politische, kulturelle und wirtschaftliche Leben ihrer Zeit maßgeblich prägten. Aber welche Entwicklungen wurden durchlaufen, um dort eine moderne und gesunde Infrastruktur zu schaffen? Diesen Aspekt beleuchtet das Projekt der Niedersächsischen Akademie der Wissenschaften zu Göttingen auf dem Akademientag am 6. November 2024 in Berlin und richtet seinen Blick insbesondere auf Frischwasserzufuhr und Kanalisation. „Wasser ist eine der wichtigsten Ressourcen der urbanen Stadtentwicklung im 12. und 13. Jahrhundert neben der Versorgung mit Nahrungsmitteln und Holz. Ebenso wichtig wie die Versorgung, aber weitaus problematischer, war bis ins 19. Jahrhundert hinein die Entsorgung von Abwasser und Abfällen“, weiß Prof. Gerhard Fouquet, Kommissionsvorsitzender des Residenzstadtprojekts.
Das Thema „Gesunde Stadt“ ist nur ein kleiner aber feiner Teil des Akademieprojekts „Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800) – Urbanität im integrativen und konkurrierenden Beziehungsgefüge von Herrschaft und Gemeinde“. „Residenzstädte sind ein europäisches Phänomen: Das Alte Reich erstreckte sich vom heutigen Norditalien über die Schweiz, Teile Ostfrankreichs, Belgien, die Niederlande, Teile der baltischen Staaten, das westliche Polen, Tschechien und Österreich. In der Zeit von etwa 1300 bis 1800 gab es knapp 900 Residenzstädte – und jede einzelne hat ihre Besonderheiten. Sie waren besondere Orte der Begegnung von Herrschaft und Gemeinde, von Hof und Stadt, von städtischem Bürgertum und höfischer Gesellschaft“, betont Fouquet und erläutert: „Im Zentrum unserer Forschungen stehen seit 2012 die vielfältigen Austauschprozesse zwischen Herr, Hof und Stadt, ebenso wie ihre Erscheinungs-und Ausdrucksformen, sei es in puncto Städtebau, Zusammenleben, Elitebildung oder Finanzen.“
Im Fokus der Forschung: rund 900 Residenzstädte
All das unter einen Hut zu bringen, ist selbst bei langer Laufzeit kein leichtes Unterfangen. Das Akademieprojekt wird gemeinsam von der Arbeitsstelle Kiel in Kooperation mit dem Historischen Seminar der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und dem Institut für Kunstgeschichte und Musikwissenschaft der Johannes-Gutenberg-Universität zu Mainz durchgeführt. „In interdisziplinärer Zusammenarbeit von Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Verfassungsgeschichte und Kunstgeschichte erarbeiten wir ein elfbändiges analytisch-systematisches Handbuch in drei Abteilungen. Kein leichtes Unterfangen, bei so unterschiedlichen Disziplinen eine gemeinsame Sprache zu finden, aber es ist uns nach ein, zwei Jahren ganz manierlich gelungen“, so Fouquet.
In der ersten Abteilung erfassen die Forschenden in vier Bänden, nach Regionen geordnet, die Residenzstädte und herrschaftlichen Zentralorte des Alten Reiches. Die Residenzstädte werden nach einem einheitlichen Schema in Einzelartikeln beschrieben, erstellt von 500 externen Forscherinnen und Forschern, die zu einem großen Teil aus dem europäischen Ausland stammen. Hier geht es um die Frage, ob und inwieweit die Städte durch die Anwesenheit eines fürstlichen bzw. adligen Hofs verändert wurden und ob es Rückwirkungen auf den Hof gegeben hat. Zwei Bände sind bereits erschienen, die beiden Bände zum Südosten und Südwesten sind noch in Arbeit. Zahlreiche Forschungsbeiträge zu den Residenzstädten sind bereits online zugänglich.
Die Aufmerksamkeit in den beiden anderen Abteilungen richtet sich auf „Gemeinden, Gruppen und sozialen Strukturen“ und „Repräsentationen sozialer und politischer Ordnungen in Residenzstädten“. Exemplarische Studien verfolgen spezifische Fragestellungen zu ausgewählten Residenzstädten. Gegenstand der Untersuchungen sind beispielsweise Herrschaftsübergänge, die ökonomische Verflechtung von Stadt und Hof, die Regelung von Konflikten oder etwa die städtischen Finanzen, die mediale Präsenz abwesender Fürsten oder die Bedeutung und Funktion von Zeichen und Symbolen.
Kommunikation zwischen Hof und Stadt
Bei all der Fülle und Vielfalt der Erscheinungsformen von Urbanität in der Vormoderne ist für Fouquet eines immer besonders spannend: der Prozess der Kommunikation zwischen Hof und Stadt. „Wir gehen davon aus, dass Kommunikation nicht einseitig seitens des Hofes, also quasi Befehl und Befehlsempfänger, stattgefunden hat, sondern dass es eine zweiseitige Kommunikation zwischen Hof und Stadtgemeinde gegeben hat. Also, dass die Bürger nicht stumm bleiben, sondern sich Freiräume schaffen. Welche Stadt schafft es, ihre städtische Leistungsverwaltung nach ihren Normen und nach ihrem Gusto zu erschließen und welche Stadt verliert ihre ursprünglichen Freiräume?“. Das zweite, was Fouquet in besonderer Weise interessiert, sind die Finanzen der Städte. Also wie schaffen sie es, in diesem Kampf zwischen Hof und Stadt ein eigenes Feld von Finanzen zu erschließen, in dem sie eigene Projekte entwickeln? Ein weiterer faszinierender Aspekt ist, wie unterschiedliche Stadtkörper miteinander lebten. So untersucht Fouquet in einem Band der exemplarischen Studien, der gerade erscheint, das Zusammenwirken zwischen Universitätsstadt und Hof am Beispiel Heidelbergs. Nicht zuletzt ist für ihn das Thema Elitenbildung von besonderem Interesse. „Über die städtischen Eliten wissen wir unendlich viel im Vergleich zu den Unterschichten, zu denen bis ins 17. Jahrhundert hinein so gut wie keine Quellen zu finden sind. Aber gerade diese Aufstiege vom sozialen Nichts in die Elite einer Stadt hinein, das ist ein ganz spannender Prozess, den ich zusammen mit einem Kollegen aus Bozen für die Residenzstadt Brixen beschrieben habe.“ Und so könnte es immer weiter gehen, die Erforschung der Residenzstädte, die Stadt- und Urbanisierungsgeschichte der Vormoderne bietet unendlich spannende Facetten, die sich mit dem Projekt der Niedersächsischen Akademie neu zusammensetzen. Man darf gespannt sein, welche dieser Facetten das Akademieprojekt auf dem Akademientag im November zum Thema zum Leuchten bringt.
Katrin Schlotter