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Projekt des Monats

Dezember | Innovationslabore: Klöster im Hochmittelalter

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Videoporträt „Klöster im Hochmittelalter”

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Im Hochmittelalter waren Klöster nicht nur Orte religiösen Lebens, sondern auch Zentren der Kultur, der Kunst, der Wissenschaft und des Handels. Sie entfalteten sogar beachtliches Innovationspotential, das auf die säkulare Welt einwirkte, wie das interakademische Projekt „Klöster im Hochmittelalter. Innovationslabore europäischer Lebensentwürfe und Ordnungsmodelle“ eindrucksvoll aufzeigt.

Ob Theologie, Schrifttum, Wirtschaftsorganisation, Heilkunde, Architektur oder selbst das Unterhaltungsspiel – im ansonsten so vermeintlich finsteren Mittelalter waren Klöster ausschlaggebend für gesellschaftliche Entwicklungen: Dort wurde Lesen und Schreiben gelehrt, Wissen bewahrt und generiert, etwa durch kunstfertige Abschriften sakraler oder auch weltlicher Texte. Zahlreiche Klostergemeinschaften verfügten über eigene landwirtschaftliche und handwerkliche Betriebe. Sie legten auch Klostergärten mit Nutz- und Heilpflanzen an, woraus sich nicht nur die Arzneimittelkunde entwickelte, sondern auch ein reger Handel. Kurzum, Klöster waren zwar als autarke Gemeinschaften organisiert, wirkten aber weit über die Klostermauern hinaus.

Klöster als Fundamente der europäischen Kultur

Welche neuen und innovativen Formen der Lebensgestaltung mittelalterliche Klöster und Religionsgemeinschaften zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert entwickelten, das erforscht seit 2010 das interakademische Forschungsprojekt „Klöster im Hochmittelalter. Innovationslabore europäischer Lebensentwürfe und Ordnungsmodelle“. Die beiden Arbeitsstellen sind an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften sowie an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig angesiedelt.

„Insbesondere die Zeit zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert war durch einen immensen sozialen und religiösen Wandel geprägt. Man denke etwa an die Entwicklung der Städte und der Geldwirtschaft, an das Aufblühen des Rittertums und der höfischen Kultur oder an die großen Dom- und Kathedralschulen und ersten Universitäten, an denen sich u. a. die scholastische Methode durchsetzte. Man denke aber auch an die in dieser Epoche wohl einzigartige Dichte neuer Kleriker- und Laienbewegungen, die innovative Lebensformen zwischen Einsiedlerleben und Vergemeinschaftung hervorbrachten und austesteten“, sagt PD Dr. Jörg Sonntag, Arbeitsstellenleiter an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften. „Die Klöster schufen in diesem Kontext nachhaltige Modelle für die Beschreibung und Bewältigung dieser vielschichtigen Veränderungen der mittelalterlichen Gesellschaft“, betont Dr. Julia Becker, stellvertretende Forschungsstellenleiterin der Heidelberger Arbeitsstelle. „Unser gemeinsames Projekt zielt daher auf die Erforschung der klösterlichen Welt als einer Wegbereiterin der Moderne.“

Dank der Verknüpfung von textorientierter Grundlagenforschung und kulturwissenschaftlicher Perspektivierung erschließen die beiden Arbeitsstellen wichtige, bis dato wenig bekannte Quellen, analysieren sie und machen sie in Form von Editionen mit Übersetzungen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich. Außerdem wird der Versuch unternommen, Editionskonzepte für massenhaft überlieferte oder reich glossierte Texte zu entwerfen. In der gemeinsamen Publikationsreihe des interakademischen Forschungsprojektes sind bereits elf Bände erschienen. Weitere Veröffentlichungen im Rahmen der international renommierten Reihe Vita regularis ergänzen dieses Œuvre. Im Fokus stehen Texte, die die gesellschaftliche Deutungsmacht der Klöster greifbar machen: Mahnschriften, theologische und didaktische Traktate, Kloster- oder Ordensregeln und Statuten sowie deren Kommentare.

Arbeitsstelle Heidelberg: Visionen von einer „besseren“ Welt

„Die Klöster nahmen eine wichtige Vermittlerrolle zwischen frommer Weltabgeschiedenheit und den vielfältigen Dynamiken der mittelalterlichen Gesellschaft ein. Die Frage, inwiefern die innovativen Formen der klösterlichen Lebensgestaltung Bereiche wie Religion, Politik oder Wirtschaft prägten, steht im Mittelpunkt unserer Arbeit“, so Becker. Das Heidelberger Team besteht aus Dr. Julia Becker, Isabel Kimpel M.A. und Jonas Narchi M.A. Die Forschenden untersuchen gezielt Texte von Autoren aus dem 12. und 13. Jahrhundert, die neuartige Gemeinschaftsmodelle entwarfen und damit vom Kloster aus tief in Politik und Gesellschaft hineinwirkten.

So entwickelte beispielsweise Gerhoch von Reichersberg, ein Regularkanoniker aus der Mitte des 12. Jahrhunderts, ein Idealmodell vom „Haus Gottes“, in dem alle Gesellschaftsschichten nach dem Vorbild der Apostel zusammenleben sollten. Dabei belegt er seine – für die damalige Zeit höchst radikalen Thesen – am Rand durch Zitate aus autoritativen Quellen: fast nach moderner Art heutiger Fußnoten!

Ebenso bietet der Zisterzienser Caesarius von Heisterbach durch den reichhaltigen Erzählfundus seiner Wundersammlungen eine bemerkenswerte Quelle für die politische, kulturelle und religiöse Geschichte des 13. Jahrhunderts. Seine Exempel – kurze Erzählungen mit lebensnahen und einprägsamen Beispielen – sollten den Gläubigen Handlungsimpulse geben und somit die Gesellschaft nachhaltig beeinflussen.

Im Ambiente der klösterlichen Gemeinschaften, wie z. B. der Regularkanoniker, Zisterzienser oder Bettelorden entstanden Visionen von einer „besseren“ Welt. Die Verfassenden sammelten das in ihrer Zeit verfügbare theologische Wissen sowie mündliches Erzählgut und brachten es in eine neue, zukunftsweisende Ordnung. Auf diese Weise hinterließen sie eindrückliche Quellen für die zeitgenössische Wahrnehmung, Beschreibung und Bewältigung gesellschaftlicher Umbrüche. „Spannend ist“, stellt Julia Becker heraus, „dass sich vor allem durch die soziale Akzeptanz der Zeitgenossen und durch kreatives Neudenken traditioneller Ansätze (re-formatio) nachhaltige Innovationen im christlichen Lebensmodell milieuüberschreitend nachweisen lassen.“

Arbeitsstelle Dresden: Spannungsfeld von Individuum und Gemeinschaft

Die sächsische Arbeitsstelle ist an der Forschungsstelle für Vergleichende Ordensgeschichte (FOVOG) beheimatet. Sie untersucht den Beitrag der Klöster in der Neubestimmung des Verhältnisses von transzendenter Sinnorientierung und rationaler Ausgestaltung im Spannungsfeld der Beziehung von Einzelnem und Gemeinschaft.

Jörg Sonntag verdeutlicht anhand seines Forschungsfeldes, welche starken Impulse die Klöster des 12. und 13. Jahrhunderts gesetzt haben: „Die Klöster waren es, die Frühformen des modernen Parlamentarismus ausbildeten. Beispiele hierfür sind die Etablierung der Generalkapitel durch die Zisterzienser oder die Erfindung der dreifachen Lesung durch die Dominikaner. Die Klöster waren es auch, die Europa – lange vor der Neuzeit – vieles lehrten: Dazu zählen die Rationalisierung der Planung, der Normsetzung, der formell geregelten Verfahrensabläufe ebenso wie der Einsatz pragmatischer Schriftlichkeit, der Gebrauch von Symbolen oder der Umgang mit Eigentum und Besitzlosigkeit.“ Jörg Sonntag edierte hierzu unter anderem den einzigen zisterziensischen Kommentar zur Benediktsregel (um 1210 verfasst) sowie die Statuten des Wilhelmiten- und des Caulitenordens. Dr. Kai Hering pflegt derzeit eine einzigartige Datenbank zu allen lateinischen Regelkommentaren des Mittelalters, die erstmals eine Typologie dieses faszinierenden Textgenres ermöglichen soll. Dr. Marcus Handke befasst sich in seinem Forschungsfeld mit der Wirkungsgeschichte des Traktats „Vom äußeren und inneren Menschen“, das dem Franziskaner David von Augsburg zugewiesen wird. Dieses Werk stellt grundlegende Verhaltensregeln in der Gemeinschaft innovativ zusammen und appelliert dabei an das Gewissen jedes Einzelnen. Diese Schrift wurde nicht nur in klösterlichen Kontexten, sondern als „Bestseller des Mittelalters europaweit auch im Weltklerus und an Universitäten rezipiert“, versichert Jörg Sonntag.

Katrin Schlotter