80.000 Prozessakten
Kalenderwoche 17
Was wüssten die Menschen Jahrhunderte später über das Rechtsleben in Deutschland, wenn ihnen nur das Grundgesetz, nicht aber die Urteile des Bundesverfassungsgerichts bekannt wären? Ungefähr so ging es bis vor kurzem den Forschenden, die sich mit der Geschichte und Rechtsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation befasst haben. Von seinen beiden höchsten Gerichten, dem Reichskammergericht und dem Reichshofrat, war nur die Rechtsprechungspraxis des ersteren bekannt. Weitgehend unbekannt war der ca. 80.000 Prozessakten umfassende Aktenbestand des Reichshofrats im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv. Um diese Geschichtslücke zu schließen, finanzieren Bund und das Land Niedersachsen über das Akademienprogramm seit 2007 das Forschungsprojekt Erschließung der Akten des Kaiserlichen Reichshofrats, das die Akademie der Wissenschaften zu Göttingen mit organisatorischer Unterstützung der Universität Wien betreut. Wissenschaftler erschließen in Wien jede einzelne, nicht selten aus mehr als 200 Seiten bestehende Akte, deren Inhalt sie regestenartig erfassen. Darunter befinden sich auch Verfahren, die nur noch bruchstückhaft überliefert oder deren Folioblätter durch zeitlichen Verfall verdorben sind. Insgesamt untersuchen die Forschenden handgeschriebene Dokumente, deren Texte zum Teil schwer zu entziffern und mit zahlreichen lateinischen Fachbegriffen durchsetzt sind.