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Projekt des Monats

Oktober | Zwischen Entzifferung und Revitalisierung: Die Schriftkultur der Maya

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Seit mehr als 150 Jahren ist sie eine wissenschaftliche Herausforderung: die Mayaschrift. Das ändert sich mit dem Akademieprojekt „Textdatenbank und Wörterbuch des Klassischen Maya“ der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und Künste. Seit 2014 entziffern Projektleiter Prof. Dr. Nikolai Grube und sein Team die Sprache der Maya-Hieroglyphen und macht sie der Welt digital zugänglich.

Herr Professor Grube, Sie leiten das Institut für Altamerikanistik und Ethnologie an der Universität Bonn und das dort angesiedelte Akademieprojekt. Worum geht es bei Ihrem Vorhaben?

Die Mayaschrift ist die bedeutendste Schrift im vorspanischen Amerika – und gibt noch immer Rätsel auf. Wir dokumentieren die Hieroglyphentexte in einer Datenbank, machen sie erstmals in Transkription und Übersetzung zugänglich und erstellen auf dieser Grundlage ein Wörterbuch der Klassischen Mayasprache. 

Der Schlüssel zum Verständnis der alten Maya-Hochkultur ist die Schrift. Sie wurde zwischen dem 3. Jahrhundert v. Chr. und 1500 n. Chr. auf dem Gebiet der heutigen Staaten Mexiko, Guatemala, Belize und Honduras verwendet und findet sich auf Tausenden von Inschriftenträgern. Lange Zeit war sie nicht zu entziffern, das heißt, Ideen, Werte, Vorstellungen und Überzeugungen der Maya blieben verborgen. 

Die Entzifferung der Schrift und die Lesung der Inschriften ermöglichen es, in das Denken der vorspanischen Hochkultur vorzudringen, ihre Sprache und Kultur zu verstehen. Die Schrift ist mit heutigen Mayasprachen verwandt, und wir wollen die Beziehungen zwischen der Klassischen Schriftsprache und den aktuellen Mayasprachen aufzeigen. Es ist faszinierend, diese Entwicklung nachzuverfolgen. 

Zudem bündeln wir mit unserem Projekt die internationalen Forschungen zur Mayaschrift, wir schaffen Konventionen für die Transkription und die Analyse von Texten in enger Kooperation mit KollegInnen in Lateinamerika und den Vereinigten Staaten.

Was hat dazu geführt, dass die Mayaschrift weitgehend entziffert ist? 

In den 1980er Jahren haben wir mit der Entzifferung der ersten Zeichen begonnen, und zwar sowohl mit den Maya-Schriftzeichen als auch mit den Mayasprachen. Der Schlüssel für die Entzifferung war, dass wir mit der Kenntnis der Sprachen an die Struktur der Mayaschrift gegangen sind, um herauszufinden, wo die Verben stehen, was ein Substantiv ist etc. 

So gelang es, zwischen 1980 und 2000 einen Großteil der Mayaschrift zu entziffern. Von den 850 Zeichen gelten 60% als entziffert, 42% der 850 Zeichen mit höchster Sicherheit, der Rest besteht aus Lesungshypothesen. Wir arbeiten somit an der Entzifferung der restlichen 40% der Mayaschriftzeichen.

Anders als bei anderen hieroglyphischen Schriften lag die Entzifferung der Schrift nicht in der Hand einer Person, sondern war das Werk der Zusammenarbeit vieler Forschender, auf beiden Seiten des Atlantiks. Die Maya-Epigraphik, also die Wissenschaft von der Mayaschrift, wurde dadurch fester Bestandteil der Universitätsausbildung. Und nur, wer die Schrift der Maya kennt, kann Maya-Archäologie betreiben. 

Warum ist die Mayaschrift so etwas Besonderes? 

Lange Zeit galt Amerika als Kontinent ohne Geschichte, ohne Schrift. Mit der Entzifferung der Mayaschrift haben wir zeigen können, dass diese Annahmen falsch waren und nachweisen können, dass wir es mit einer frühen Schriftkultur zu tun haben, die über 2.000 Jahre verwendet worden ist und damit zu den ersten großen Schriften der Menschheit zählt. 

Daher ist die Erforschung der Mayaschrift auch aus komparatistischer Sicht von großer Bedeutung, wenn wir wissen wollen, warum überhaupt Schriften entstehen und in welchem Kontext. Schrift ist schließlich eine der großen menschheitsgeschichtlichen Revolutionen! Die Schrift hat das Entstehen von städtischen Kulturen und Staaten vielerorts erst möglich gemacht.

Was bedeutet die Entzifferung der Mayaschrift für die Identität der dort lebenden Menschen?

Für die Maya-Nachfahren, die oft in großer Armut leben und als indigene Völker nicht adäquat in staatlichen Institutionen repräsentiert sind, ist die Entzifferung der Mayasprache von großer Bedeutung: Für sie ist es Bestandteil ihrer Würde, Teil einer Jahrtausende alten großen Menschheitskultur zu sein, mit einer ebenso alten Schriftkultur. Daher spielt die Entzifferung der Schrift für die kulturelle Revitalisierung eine große Rolle. Schrift gehört zum Verständnis von Identität.

Eines unserer forschungsethischen Ziele ist es daher, die Forschungen über die Mayaschrift und die entzifferten Inschriften den heutigen Maya zur Verfügung zu stellen. Immer wieder kommen Maya zu uns nach Bonn, um ihre Schrift zu studieren, aber ich richte auch in Guatemala Workshops aus, um ihnen den Zugang zur Schrift zu ermöglichen. Zudem sind unsere Forschungen und besonders das Wörterbuch natürlich online zugänglich.

Sie haben von Anfang an das Wörterbuch digital angelegt. Warum?

Das ganze Forschungsfeld ist extrem dynamisch, ständig kommen neue Funde hinzu. Dadurch, dass die Mayaschrift zudem noch nicht zu 100 Prozent entziffert ist, gibt es für viele Zeichen und Texte konkurrierende Deutungsvorschläge, manch eine Entzifferung wird auch revidiert. Diese Dynamik abzubilden ist nur digital möglich. Daher arbeiten wir mit Textgrid, einer digitalen Arbeitsplattform für Bilder und Texte, und einer eigens entwickelten Software namens ALMAH (Annotator for the Linguistic Analysis of Maya Hieroglyphs), die uns dabei hilft, Texte sprachlich zu analysieren und zu entziffern.

Sie arbeiten aber nicht nur digital, oder?

Nein, wir sind auch vor Ort unterwegs, um Inschriften auf Steinstelen, eingeritzte Zahlen und Symbole, Malereien und Reliefs zu digitalisieren, und zwar mithilfe eines 3D-Weißlicht-Scanners. Durch digitale Bildverfahren werden die Oberflächen der Inschriften so exakt abgebildet, dass mit dem Auge kaum erkennbare Textstellen lesbar werden. Mit der Dokumentation der Inschriften wollen wir auch einen Beitrag dazu leisten, das Kulturerbe zu erfassen, zu schützen und zu bewahren. Wir planen übrigens, im Frühjahr wieder mit dem Scanner nach Mexiko und Guatemala zu reisen, weil es dort so viele Inschriften gibt, die noch nicht identifiziert sind. Unser Ziel ist, die Texte der Maya wieder zum Sprechen zu bringen.

Katrin Schlotter


Kontakt

Sebastian Zwies
Leiter Koordinierung
Akademienprogramm

 

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sebastian.zwies@akademienunion.de