Oktober | Die umfangreichste Urkundenedition weltweit: die Urkunden von Friedrich II.
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Um kaum einen Herrscher ranken sich so viele Mythen und Interpretationen wie um den letzten Stauferkaiser Friedrich II. (1194–1250). Als stupor mundi, das „Staunen der Welt“, ging er in die Geschichte ein – und gilt noch heute als eine, wenn nicht sogar die schillerndste Persönlichkeit des Mittelalters. Seine Urkunden spiegeln in edierter Form die vielen Facetten seiner Herrschaft wider.
Kriege, Kreuzzüge, Ketzerbekämpfung, aber auch der Kontakt mit neuem Wissen und fremden Welten – Friedrich II. regierte in turbulenten Zeiten ein Reich, das sich von der Nordsee bis zum Mittelmeer erstreckte. Damals wie heute werden sein Leben und Wirken kontrovers diskutiert: Für die einen verkörperte er das „Staunen der Welt“, für andere war er der „erste moderne Mensch auf dem Thron“. Doch auch als orientalischer Despot, Bestie oder Antichrist wurde er gebrandmarkt, um nur einige Beispiele zu nennen. Aber wer war Friedrich II. und woran lässt sich Jahrhunderte später verlässlich nachvollziehen, wie er geherrscht hat?
Urkunden als Spiegel der Herrschaft
Profunde Einblicke in diese Zeit geben die Urkunden Friedrichs II., von denen noch erstaunlich viele erhalten sind. Seit 1990 untersucht und ediert das Projekt „Edition der Urkunden Kaiser Friedrichs II. († 1250)“ der Bayerischen Akademie der Wissenschaften die verschriftlichten Rechtsakte des großen Stauferkaisers. Mit ca. 2.600 Urkunden ist das Vorhaben die umfangreichste Urkundenedition weltweit. „Diese Urkunden als Rechtsdokumente sind für die mediävistische Forschung unabdingbar. Sie dokumentieren die Geistesgeschichte und die Herrschaft des großen Stauferkaisers“, betont Dr. Christian Friedl, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Akademieprojektes.
Zunächst ein kurzer Streifzug durch das Leben und Wirken von Friedrich II. Der letzte große Stauferkaiser wuchs in Sizilien auf, in einem multikulturellen, u. a. arabisch geprägten Umfeld. Im Jahr 1212 brach er nach Deutschland auf, zur Krönung zunächst im Mainzer, drei Jahre später im Aachener Dom. 1220 kehrte er nach Italien zurück, wo er aus den Händen des Papstes die Kaiserkrone annahm. In Unteritalien schuf er eine Königsherrschaft mit einem hocheffizienten Beamtenapparat, der seinesgleichen sucht. „Alles war durchorganisiert, dem Kaiser entging nichts“, betont Friedl. In den folgenden dreißig Jahren seiner Kaiserherrschaft kämpfte er, auch mit dem Papsttum, um die Vorherrschaft in Italien. Und nicht nur dort, wie Friedl hervorhebt: „Auf dem Kreuzzug 1229 gelang ihm als erstem mittelalterlichen Herrscher, der überdies zu dieser Zeit exkommuniziert war, die unblutige Zurückverhandlung Jerusalems aus den Händen der islamischen Eroberer. Mit dem Sultan al-Kamil verband ihn, so einige Quellen, sogar eine echte Freundschaft: ein frühes Beispiel friedvoller und fruchtreicher Wechselwirkung mit der ‚fremden Kultur Islam‘.“
Überhaupt zeigte Friedrich II. großes Interesse an Wissenschaft und fremden Kulturen und Religionen. Er sprach mehrere Sprachen, umgab sich mit Gelehrten und machte sich als Wissenschaftler einen Namen. Er verfasste eine naturwissenschaftliche Abhandlung über die Falkenjagd namens De arte venandi cum avibus (Über die Kunst mit Vögeln zu jagen) und hatte entscheidenden Einfluss auf die Ausbreitung der Falknerei in ganz Europa. Er war es auch, der 1224 die Universität von Neapel gründete, als erste weltliche Institution. Friedrich II. war übrigens viermal verheiratet und hatte – auch in zahlreichen außerehelichen Verbindungen – mehr als ein Dutzend Kinder.
Sämtliche Urkunden an einem Ort
Um Leben und Wirken Friedrichs II. nachvollziehen zu können, sind die Urkunden als verschriftliche Rechtsakte eine unverzichtbare Quelle. Ziel des Langzeitforschungsprojektes der Bayerischen Akademie der Wissenschaften ist die Edition sämtlicher Urkunden Friedrichs II. in einem Werk: Sie werden nach den strengen Editionsregeln der Diplomata-Reihe der Monumenta Germaniae Historica (MGH) der historischen Forschung zugänglich gemacht. Drei Jahre nach den publizierten Bänden sind die edierten Urkunden auch per Stichwortsuche online unter dMGH abrufbar. „Mit der Edition der Urkunden liefern wir einen Beitrag zur Rechts- und Verfassungsgeschichte, insbesondere zu Deutschland, Italien und Südfrankreich, zur allgemeinen Geschichte, zur Geschichte der Kanzlei- und Behördenstruktur sowie zur Entwicklung der lateinischen Sprache im 13. Jahrhundert“, so Friedl.
Pioniere der Edition
„Wir sehen unsere Aufgabe im Pionierdasein: Wir buddeln in Archivtexten und bearbeiten sie anständig, das heißt, wir erstellen eine kritische Edition“, erläutert Friedl. Und dabei gilt es, wirklich alles in Frage zu stellen: Ist die Urkunde überhaupt echt? Wer hat sie geschrieben? Ist sie so, wie sie zu dieser Zeit üblicherweise verfasst wurde? Und was bedeutet der lateinische Text, der im Original ohne Punkt und Komma zu lesen ist? Ist er trotz aller Jahrhunderte alter Spuren überhaupt noch vollständig zu entziffern? Wie war der historische Hintergrund? Was sagt diese Urkunde über diese Zeit aus? Und wo, bitte, soll der genannte Ort, wer die genannte Person sein? All diese Fragen gilt es fachkundig zu klären. „Für die Edition mittelalterlicher Urkunden sind profunde Lateinkenntnisse ebenso unabdingbar wie alle Disziplinen der Historischen Grundwissenschaften. Als Editor ist man Paläograph, Diplomatiker, Philologe oder Rechtshistoriker zugleich“, sagt Friedl. „In unserem vierköpfigen Team decken wir all diese Disziplinen ab.“
Privilegien, Mandate und Briefe
Im Mittelpunkt der Edition steht der Urkundentext selbst, eben als Rechtsdokument, und dieser Text wird nun „kritisch“ geboten, also unter sorgfältiger und umfassender Prüfung aller Quellen. Bei den Urkunden Friedrichs II., vor allem aus der Zeit seiner Herrschaft als Kaiser (1220–1250), unterscheidet man zwischen Privilegien (Schenkungen und Bestätigungen), Mandaten (Befehlen) sowie Briefen und Rundschreiben an andere Herrscher oder den Papst.
Von den rund 2.600 Urkunden sind bereits 1.463 Editionsnummern in sechs Bänden erschienen. „Derzeit sind wir an der 1.721. Urkunde, bald folgt der siebte von insgesamt zehn Bänden.“ Die letzten drei Bände versprechen besonders spannend zu werden: „Hier gehen sich Friedrich II. und der Papst an die Gurgel, streiten sich etwa darüber, wer wofür Kreuzzüge macht, etwa um im Namen des Glaubens missliebige Menschen zu vernichten“, erzählt Friedl und ergänzt: „Dieser Schlagabtausch geschieht in höchst stilvoller Latinität, immer wieder werden dabei Bibelzitate und Bilder aus der Apokalypse verwendet.“ Für ihn steht fest: „Wir lernen jeden Tag Neues dazu.“ Man darf gespannt sein, wie sich Urkunde für Urkunde das Wissen um den letzten Stauferkaiser und das finstere Mittelalter erhellt.
Katrin Schlotter
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