November | Buddhistische Steininschriften in Nordchina
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Wissens-und Weisheitsspeicher: Zwischen dem 6. und 11. Jahrhundert n. Chr. meißelten buddhistische Mönche in China heilige Texte (Sutren) in Stein, um sie für die Nachwelt zu bewahren. Genau das wollen auch die Forschenden der Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Seit 2005 arbeiten sie an der Dokumentation, Interpretation und Publikation dieser teilweise erst in den letzten Jahren wieder entdeckten Inschriften.
„Die heiligen und tiefsinnigen Texte, die buddhistische Mönche in China in Stein gemeißelt haben, sind ein Wissens- und Weisheitsspeicher der Menschheit. Sie handeln vom Sinn unserer Existenz in der Welt, von einer richtigen Lebensführung, sie definieren, was Wirklichkeit ist. Und es gibt auch Diskurse über Medizin, Hygiene, Botanik, Philologie, das Verhältnis von Bild und Realität und vieles mehr“, erläutert Professor Dr. Lothar Ledderose, Leiter der Forschungsstelle „Buddhistische Steininschriften in Nord-China“ der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Seit 2005 arbeiten die Forschenden an der Bewahrung und Erschließung der Schriftzeichen. Dies schließt die raumbezogene Verortung der schrifttragenden Steine und die Vermessung der topographischen Situation, die Herstellung von 3D-Modellen und eine genaue Aufnahme aller Zeichen ein.
Größtes epigraphisches Projekt der Weltgeschichte
Die jahrhundertealten, buddhistischen Texte finden sich in Nordchina, teils unter freiem Himmel im gewachsenen Fels, zum Beispiel im Steinsutrental auf dem Berg Tai in der Provinz Shandong. Dort sind auf über 1.800 Quadratmetern 2.500 Zeichen des sogenannten Diamantsutras eingemeißelt, jedes circa einen halben Meter groß. Doch auch auf den Wänden von Kulthöhlen sind sie zu entdecken, hier messen die Zeichen nur rund 2 x 2 cm, sind dafür aber viel zahlreicher. Im Hain des Liegenden Buddha in der Provinz Sichuan zählt man über 400.000 Zeichen, etwa 100.000 davon nimmt allein der umfangreiche Text des Nirvanasutra ein. Im Wolkenheimkloster südlich von Peking schließlich bemeißelten die Mönche standardisierte rechteckige Platten. „Während die meisten anderen Texte aus dem 6. bis 8. Jahrhundert n. Chr. stammen, arbeitete man dort kontinuierlich von 616 bis ca. 1200 und erschuf dabei über 31 Millionen Schriftzeichen. Es ist das größte epigraphische Projekt der Weltgeschichte!“, betont der Kunsthistoriker und Balzan-Preisträger Ledderose.
Über das Ende der Welt hinaus
Warum diese enormen Anstrengungen? „Ein Hauptgrund war die Furcht vor dem Weltuntergang. Den stellte man sich allerdings nicht als punktuelles Ereignis vor, wie den Jüngsten Tag in der christlichen Religion, vielmehr kulminierte eine längere Periode der Endzeit, die nach einer üblichen Berechnung im Jahr 553 begonnen hatte, in apokalyptischen Feuerstürmen schließlich im Ende der Welt, wie wir sie kennen“, erklärt Ledderose und ergänzt: „Allerdings gingen die buddhistischen Mönche davon aus, dass irgendwann ein neues Weltzeitalter heraufkommt, und dann die im Granit erhaltenen Texte den Menschen von den Lehren des Buddha künden. Die Mönche hatten übrigens keinen Zweifel, dass die Menschen des kommenden Weltzeitalters chinesisch lesen können.“
Enge Zusammenarbeit mit China
Das Projekt der Heidelberger Akademie hat drei wesentliche Ziele: Dokumentation, Interpretation und Publikation. „In allen drei Bereichen arbeiten wir eng mit chinesischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammen“, so Forschungsstellenleiter Ledderose. „Wir klettern mit ihnen auf die Berge, vermessen und entziffern die zum Teil verwitterten Inschriften, fotografieren sie nach allen Regeln der Kunst, erstellen bisweilen auch Scans und lesen und dokumentieren die Texte dabei so genau, wie es noch nie gemacht wurde. Noch nicht übersetzte Texte übersetzen wir.“ Nicht umsonst gilt das Projekt als eine der größten und erfolgreichsten Kooperationen zwischen Deutschland und China auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften.
Publikationsreihe Buddhist Stone Sutras in China
Auch bei der Interpretation ist die Zusammenarbeit eng. „In den verschiedenen Provinzen Chinas konnten wir jeweils die besten Experten für unser Projekt gewinnen. Manche von ihnen waren, zum Teil mehrere Monate, in Heidelberg, wo wir alle Fragen im Detail und auf Augenhöhe diskutieren konnten. Aber auch Spezialistinnen und Spezialisten aus den USA und aus England schreiben Beiträge in unseren Bänden, und wir versichern uns des enormen buddhologischen Wissens in Japan“, so Ledderose.
Publiziert werden die jeweils rund 500 Seiten umfassenden Bände gleichzeitig in Deutschland und in Hangzhou in der Volksrepublik China. Beide Ausgaben sind bis auf den Umschlag identisch. In allen Bänden ist der Text durchgehend zweisprachig, auf Englisch und Chinesisch. Bereits der erste Band der Sichuan-Serie erhielt 2014 in Berkeley den Toshihide Numata Book Award in Buddhism als weltweit bestes Buch des Jahres auf dem Gebiet der Buddhismus-Studien. Inzwischen sind acht Bände erschienen, der neunte ist auf dem Weg nach China, ein weiterer steht kurz vor der Fertigstellung.
„Bisher waren wir jedes Jahr ein bis zweimal in China. In Corona-Zeiten war das nun nicht mehr möglich, aber wir können einige unserer ehemaligen Heidelberger chinesischen Studenten bitten, vor Ort für uns zu recherchieren“, so Ledderose, „Irgendwann jedoch, so hoffen wir, werden wir auch selbst wieder an den steinernen Schriften arbeiten können“. Denn nicht zuletzt gilt es, die buddhistischen Inschriften Nordchinas als – Zeugnisse des kulturellen Erbes der Menschheit zu bewahren. Für Ledderose steht fest: „Indem wir dieses Erbe erforschen und in der Welt bekannter machen, wirken wir daran mit, die darin Gestalt gewordenen humanen Werte zu erhalten und zu pflegen.“
Katrin Schlotter
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