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Projekt des Monats

Mai | Online verfügbar: Die Übersetzung des koptisch-sahidischen Alten Testaments

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Zum Reinhören: Der Klang der Bibel auf Koptisch

Zum Reinschauen: Das koptische Markusevangelium

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Zerstört, zerfetzt und in aller Welt zerstreut: die Bibel in koptischer Sprache. Das Akademieprojekt der Niedersächsischen Akademie der Wissenschaften zu Göttingen setzt die Puzzlestücke wieder zusammen – mit einer „Digitalen Gesamtedition und Übersetzung des koptisch-sahidischen Alten Testaments“.

„Stellen Sie sich vor, Sie haben ein in alle Welt verstreutes Puzzle von Handschriften aus Papyrus und Pergament, Jahrhunderte alt. Und rund 20 Prozent der Puzzleteile fehlen. Das ist unsere übliche Situation“, gibt Arbeitsstellenleiter Dr. Frank Feder zu bedenken. Seit 2015 arbeitet das Göttinger Akademieprojekt daran, alle Zeugnisse der koptisch-sahidischen alttestamentlichen Bibelübersetzung aufzuspüren und zusammenzutragen, sie digital und in Buchform zu edieren und in die Sprachen Deutsch, Englisch und Arabisch zu übersetzen.

Die koptisch-sahidische Bibel zählt zu den bedeutendsten literarischen Zeugnissen des Christentums im östlichen Mittelmeerraum – und doch gibt es sie nicht. „Wir rekonstruieren ein Weltkulturerbe: Das koptische Alte Testament, das bereits im 4. Jh. n. Chr. entstanden ist, ist eine der frühesten und umfangreichsten Versionen der Septuaginta, also der altgriechischen Übersetzung des hebräischen Alten Testaments. Es diente als Quelle und Inspiration für die gesamte koptisch-christliche Literatur Ägyptens. Zugleich ist es ein zentrales Textkorpus der ägyptischen Sprache, deren jüngste Stufe das Koptische darstellt und dessen wichtigste Dialektformen Sahidisch und Bohairisch sind.“, erläutert Feder.

Griechisch, Sahidisch, Bohairisch, Arabisch

Diese Übersetzungen aus dem Griechischen entstanden zwischen dem 3. und 4. Jh. n. Chr., in einer Zeit, in der das Christentum in Ägypten an Bedeutung gewann und die Notwendigkeit entstand, die Heiligen Schriften in die lokale Sprache zu übertragen. Der sahidische Dialekt des Koptischen wurde dank der Bibelübersetzung zum literarischen Standard und blieb bis ins 12. Jh. n. Chr. hinein Literatur- und Liturgiesprache der ägyptischen Christen. Die koptisch-sahidischen Texte des Alten Testaments sind daher nicht nur religiöse Dokumente, sondern bezeugen die sprachliche und kulturelle Geschichte Ägyptens. Die Forschung zu diesen Texten trägt wesentlich zum Verständnis der Entwicklung der Bibelübersetzungen und der Geschichte des frühen Christentums bei.

 

 

 

Verschollen, vergessen, verkauft

Doch wie so oft in der Geschichte, kam nach dem Aufstieg der Zerfall. Die Bibelübersetzung in koptischer Sprache und ihren Dialektvarianten Sahidisch und später Bohairisch wurde ab dem 8. Jh. n. Chr. im islamisch dominierten Ägypten zunächst in die Klöster verbannt und schließlich durch das Arabische verdrängt. Die sahidischen Handschriften blieben in aufgegebenen Klosteranlagen zurück und gerieten in Vergessenheit. Ab dem 18. Jh. n. Chr. weckten die kunstvollen Manuskripte jedoch das Interesse europäischer Missionare, Privatsammler, Gelehrter und Antikenhändler. „Die Handschriften wurden auseinandergerissen, einzelne Blätter verkauft. Das brachte mehr ein. Auch heute werden bei Auktionen immer wieder Teile aus Privatsammlungen versteigert“, weiß Feder, der zusammen mit seinem Team die in aller Welt zerstreuten Manuskripte und Fragmente virtuell wieder zusammenführt und ediert.

 

 

Aufspüren, rekonstruieren, edieren und zugänglich machen

Ob in der Wiener Nationalbibliothek, im Vatikan, in der Bibliothèque Nationale in Paris, in der British Library in London, in den USA oder anderen Teilen der Welt – die Göttinger Forschenden arbeiten seit 2015 daran, die in aller Welt zerstreuten Manuskriptteile wieder zusammenzubringen. „Unsere Gesamtedition ist von Grund auf digital angelegt. In unserem Virtual Manuscript Room, der zugleich als Handschriftenrepositorium und Publikationsplattform dient, setzen wir das große Puzzle mit vielen Unbekannten wieder zusammen. Jede erhaltene Handschriftenseite ist durch einen digitalen Zwilling vertreten, und die Einzelfragmente werden wieder virtuell zu Blättern vereint und zu Kodizes rekonstruiert. Die Handschriften werden katalogisiert, beschrieben und ediert, digital erschlossen und für weitere Forschungen zugänglich gemacht“, erläutert Feder. „Das gelingt jedoch nur in nationaler wie internationaler Zusammenarbeit, wir tauschen uns mit unseren Projektpartnern ständig aus.“

Auf der neu entwickelten Onlineplattform Digital Edition of the Coptic Old Testamentkönnen zudem Forschende weltweit ihre Forschungsergebnisse zur koptischen Bibel aber auch zur koptischen Literatur allgemein einspeisen. Der Aufbau der Datenbank erfolgte in enger Kooperation mit dem Institut für neutestamentliche Textforschung (INTF) in Münster, das sich u.a. der koptischen Überlieferung des Neuen Testamentes widmet. Zum Projektende ist alles auf einer Plattform vereint und steht für weitere Forschungen zur Verfügung.

Für Forschung und koptische Christen weltweit

Die Erforschung des koptisch-sahidischen Alten Testaments ist jedoch nicht nur von wissenschaftlichem Interesse, etwa für die Theologie, Bibelwissenschaft, Ägyptologie, Linguistik und Kulturgeschichte. „Wir erforschen das kulturelle Erbe der koptischen Christen, die im Lauf der Geschichte immer wieder in ihrer Existenz bedroht waren.“ Er betont: „Wir werden in unserer Forschungsarbeit von koptischen Organisationen, die sich der wissenschaftlich fundierten Pflege ihres kulturellen Erbes verschrieben haben, unterstützt, zum Beispiel bei der Übersetzung ins Arabische. Für die koptische Glaubensgemeinschaft sind die Rekonstruktion und die Erhaltung dieses wichtigen kulturellen Erbes der ägyptischen Christenheit von immenser Bedeutung.“ Und immer wieder kommt ein neues Fragment, ein neues Puzzleteil hinzu.“

Katrin Schlotter

 


Kontakt

Sebastian Zwies
Leiter Koordinierung
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