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Ein Priester hält eine Handschrift aus dem 17. Jahrhundert
Projekt des Monats

März | Manuskriptforschung: Christliches Kulturerbe am Horn von Afrika

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Mit der Erfindung der Schrift fing alles an. Was das Schreiben mit dem Menschen, und was der Mensch mit dem Schreiben macht, erforscht Professor Alessandro Bausi mit dem Akademievorhaben „Beta maṣāḥǝft“: Im Fokus steht die jahrhundertealte Schriftkultur des christlichen Äthiopiens, die noch heute lebendig ist.

Wenn es um das Kleine Fach Äthiopistik und Manuskriptkulturen geht, dann kommt niemand an Hamburg vorbei, genauer gesagt an Professor Bausi, der seit 2009 an der Universität Hamburg die einzige Professur für Äthiopistik in Deutschland besetzt. Zudem leitet er am dortigen Asien-Afrika-Institut (AAI) das Hiob-Ludolf-Zentrum (HLZ) für Äthiopistik, eines der weltweit führenden Zentren für das Studium Äthiopiens und der Großregion am Horn von Afrika. Das HLZ wurde 2002 eigens für interdisziplinäre Forschungsprojekte gegründet – eines davon ist das Akademievorhaben „Beta maṣāḥǝft: Manuskripte Äthiopiens und Eritreas (Schriftkultur des christlichen Äthiopiens und Eritreas: eine multimediale Forschungsumgebung)“.

Schriftliches Kulturerbe: Manuskripte Äthiopiens und Eritreas

„Äthiopien und Eritrea können auf ein reiches schriftliches Erbe zurückblicken: Die größtenteils wunderschön illustrierten Handschriften mit eigener Schrift und Sprache sind seit Jahrhunderten das wichtigste Mittel, um nicht nur religiöse Schriften, sondern auch historische Informationen aufzuzeichnen. Sie geben bis heute wertvolle Einblicke in das Leben und die Kultur am Horn von Afrika. Und genau das macht unsere Forschungen so faszinierend“, betont Bausi. 

Das Projekt „Beta maṣāḥǝft“ ist ein Langfristforschungsprojekt der Akademie der Wissenschaften in Hamburg, das im Rahmen des Akademienprogramms (koordiniert von der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften) gefördert wird. Die Förderung läuft über 25 Jahre, von 2016 bis 2040. Schließlich ist viel zu tun: Noch immer befinden sich hunderttausende unerschlossene Manuskripte in den Kirchen und Klöstern Äthiopiens und Eritreas, und auch bestehende Sammlungen bedürfen der Aufbereitung. 

Ziel des Akademievorhabens ist die systematische Aufbereitung des Wissens über die christliche äthiopisch-eritreische Handschriftentradition. Die Forschenden analysieren wichtige Texte der Schriftkultur des christlichen Äthiopiens und stellen sie mit Übersetzung multimedial bereit. Damit bewahren sie dieses bedeutende Kulturerbe und machen es der Wissenschaft und auch der Öffentlichkeit zugänglich. 

Globaler Austausch

Diese Handschriftentradition ist gleichermaßen historischer Bestandteil von Christentum, Islam und Judentum sowie von lokalen Religionen. „Wir befassen uns mit einer fast 2000 Jahre alten Manuskripttradition, die noch heute eine wichtige Rolle spielt“, so Bausi. „In diesen Schriften zeigt sich deutlich ein weit über die Region am Horn von Afrika ausstrahlender Austausch von Traditionen, Geschichten und Menschen. Das knüpft an die Moderne an und unterstützt neue Forschungen zur politischen Geschichte, Handschriftenkunde oder historischen Geografie“.

Vielfältige Kontakte mit der europäischen Kultur

Und noch etwas ist außergewöhnlich: „Die Subsahara-Kultur ist eine afrikanische Kultur, die erstaunlich vielfältige Kontakte und Ähnlichkeiten mit der europäischen Kultur aufweist“, erläutert Bausi. „Wir finden antike, mittelalterliche und gegenwärtige Erzählungen nicht nur über das Christentum, sondern auch über das antike Judentum – Erzählungen, die es manchmal ausschließlich in äthiopischen Handschriften gibt.“ Auch Erzählungen des christlichen Mittelalters, etwa zu Marienwundern oder Heiligenzyklen, tauchen in äthiopischen Handschriften auf, werden neu organisiert oder mit eigenen Geschichten ergänzt. „Diese Verknüpfungen sind überaus interessant: Sie zeigen, dass angeblich unterschiedliche Kulturen schon immer miteinander verschränkt waren.“

Manuskripte als Wissensspeicher

Um diese für das kulturelle Erbe bedeutenden Bestände zu sichern, ist es von großer Bedeutung, die noch nicht untersuchten Handschriftensammlungen im äthiopischen und eritreischen Hochland zu bewahren, zu erforschen und zu digitalisieren. Gleiches gilt auch für bestehende Manuskriptsammlungen in Bibliotheken. „Hier sind die Beschreibungen oft unvollständig und konzentrieren sich lediglich auf die Haupttexte“, ergänzt Bausi. „Außerdem gibt es derzeit keinen umfassenden Handschriftenkatalog, der es Forschenden erlaubt, mit mehreren Sammlungen gleichzeitig zu arbeiten. Diese beiden Lücken wollen wir mit unserem Beta maṣāḥǝft-Projekt schließen.“

Virtuelle Forschungsumgebung

Diese Mammutaufgabe ist natürlich nur langfristig und in internationaler wie interdisziplinärer Zusammenarbeit zu bewältigen: Forschende aus Äthiopien, Deutschland, Italien und Russland bauen eine virtuelle, multimediale Forschungsumgebung auf, um Texte und Bilder aus unterschiedlichen Zeitperioden und Regionen mit Informationen zu den Handschriften, den relevanten Persönlichkeiten sowie den Herkunftsorten zu verbinden. „Das erfordert viel Zeit und Wissen, dient aber der Nachhaltigkeit des Projektes“, erklärt Bausi.

Chancen und Perspektiven für junge Talente

„Unser Akademievorhaben ist von strategischer Bedeutung für die Förderung und Vernetzung des wissenschaftlichen Nachwuchses“, hebt Bausi hervor. „Insbesondere in einem kleinen Fach wie der Äthiopistik brauchen Nachwuchskräfte vor allem planbare und langfristige Perspektiven statt befristeter Verträge.“ 

Um Nachwuchskräfte in den Methoden der äthiopischen und eritreischen Handschriftenforschung auszubilden – von Geschichte über Philologie und Handschriftenkunde bis hin zur Katalogisierung und Digitalisierung – organisiert das Hiob-Ludolf-Zentrum für Äthiopistik unterstützt von zahlreichen Kooperationspartnern seit 2016 jährliche internationale Summer Schools. Nach den ersten beiden Runden in Hamburg folgten Summer Schools an der Universität Mekelle (2018) und der Universität Addis Abeba (2019). Coronabedingt fand die Summer School 2020 erstmals online statt, so wird es auch in 2021 sein. „Wir haben eine Vielzahl von Bewerbungen,“ so Bausi, „das Interesse an Wissenstransfer, internationaler Zusammenarbeit und Vernetzung ist groß.“ 

Katrin Schlotter
Bildauswahl: Eugenia Sokolinski


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Sebastian Zwies
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