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Einblicke ins Akademienprogramm

Gut verortet: „Dialektatlas Mittleres Westdeutschland (DMW)“

Dialektatlas Mittleres Westdeutschland (DMW)

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Kurz nachgefragt... bei Marius Albers

Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste

Dialekte sind ein wertvolles Kulturgut: Sie schaffen kulturelle Identität. Und doch verändern sie sich oder sterben gar in manchen Regionen aus. Ein einzigartiges Akademieprojekt erfasst, analysiert und bewahrt die sprachliche Vielfalt – und macht sie mit dem „Dialektatlas Mittleres Westdeutschland (DMW)“ online zugänglich.

„Dialekte sind stark rückläufig. Unser Ziel ist, die Dialekte zu sammeln, die wir noch finden können, und die Daten für unsere eigene linguistische Community, aber auch für die Forschung anderer bereitzustellen“, sagt Marius Albers,Projektkoordinator des „Dialektatlas Mittleres Westdeutschland (DMW)“, der von der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste betreut wird. Auch außerhalb der Wissenschaft wird die Dialektsprache als relevant wahrgenommen, zum Beispiel bei Heimat-, Geschichts- oder anderen Vereinen, die sich für das Plattdeutsche oder andere Dialekte einsetzen. Dialekte bieten auch reichlich Gelegenheit, über Wissenschaft ins Gespräch zu kommen – im September 2024 in Recklinghausen zum Beispiel, als das DMW-Projekt bei „Wissenschaft – und ich?“ dabei war, einer gemeinsamen Veranstaltungsreihe der Akademienunion und weiteren großen Wissenschaftsorganisationen.

Das Akademieprojekt „Dialektatlas Mittleres Westdeutschland“ (DMW) wird an den Universitäten Bonn, Münster, Paderborn und Siegen durchgeführt. Ihr gemeinsames Ziel: Aussterbende Dialekte zu analysieren, zu vergleichen und für die Nachwelt zu dokumentieren. Denn Dialekte sind mehr als nur eine Form der Kommunikation – sie sind ein Stück Heimat und Identität. Zugleich sind sie ein kulturelles Erbe, das mit allen sprachlichen Eigenheiten bewahrt und für kommende Generationen erlebbar gemacht wird. 

Dialekte sicht- und hörbar machen

Wo wird welcher Dialekt gesprochen? Worin unterscheiden sie sich? Und wie hört sich das überhaupt an? Im Projekt entsteht bis 2032 ein „virtuelles Museum“ der Dialekte. „Mit unserem digitalen Spracharchiv halten wir die Dialekte im mittleren Westdeutschland lebendig und machen sie auf einer interaktiven Karte sicht- und hörbar“, betont Albers. Bereits seit 2021 stehen auf der Projekthomepage digitale, „sprechende“ Atlaskarten zur Verfügung – eine Besonderheit des DMW-Projekts. Dort kann man direkt sehen, wo bestimmte Dialektwörter verwendet werden und sie zugleich anhören. „Anders als bei gedruckten Sprachatlanten können wir unsere Ergebnisse schnell über die digitale Plattform des DMW verfügbar machen. Mit ein bisschen Übung lassen sich online individuelle Kartenansichten generieren, die den Wandel und die Vielfalt der Dialekte abbilden“, so Albers.

Wie klingt das mittlere Westdeutschland?

Das mittlere Westdeutschland, das sich vier Universitäten regional aufteilen, ist dialektologisch besonders vielfältig. Das DMW-Gebiet umfasst den westfälischen, den niederfränkischen und den ripuarischen Raum sowie daneben auch kleinere Gebiete des Moselfränkischen, des Mittel- bzw. Zentralhessischen und des Ostfälischen. Oder anders gesagt: Das Untersuchungsgebiet des DMW-Projekts umfasst sowohl niederdeutsche als auch hochdeutsche Dialektregionen in ganz Nordrhein-Westfalen, im Südwesten von Niedersachsen und im Norden von Rheinland-Pfalz. „Zudem verläuft eine der wichtigsten Dialektgrenzen Deutschlands, die sogenannte „Benrather Linie“, quer durch das Erhebungsgebiet. Diese Linie trennt das Hochdeutsche vom Niederdeutschen und macht die Region zu einem spannenden Forschungsfeld“, skizziert Albers. 

Update für den Wenker-Atlas

Die Dialektforschung ist indes alles andere als neu: Der deutsche Sprachwissenschaftler Georg Wenker (1852-1911) war der Erste, der systematisch einen Großteil des deutschsprachigen Raums dialektgeografisch erfasste und im Deutschen Sprachatlas (auch: Wenker-Atlas) festhielt. „Damit unsere Daten mit dem Wenker-Atlas vergleichbar sind, erheben wir unsere Daten fast ausschließlich in den selben Orten, aber mit ganz neuen Methoden“, sagt Albers. 

Anders als bei den meisten Akademieprojekten üblich, kommen die Forschenden direkt mit „lebendigem Kulturerbe“ in Kontakt – sie besuchen die Menschen zuhause und sprechen mit ihnen. Die Kontaktanbahnung läuft über das Web (Mitmachen) oder Aufrufe lokaler Institutionen bzw. Vereine. In einem Ort werden bis zu zwei Personen der ältesten Generation (ab 70 Jahre) befragt, die ihr ganzes Leben in ihrer Heimatregion verbracht haben, und ggfs. eine Person der jüngeren Generation (30 bis ca. 45 Jahre). Denn nur so lässt sich der generationsübergreifende Sprachwandel und Sprachgebrauch erfassen und analysieren, mithilfe digitaler Tools. 

Dialektlandschaft: 1.500 Interviews an mehr als 900 Orten

Über 1.500 Interviews mit Dialektsprecherinnen und -sprechern in mehr als 900 Orten hat das Team seit 2018 geführt – und das trotz Corona-Pandemie. Die Interviews, die zwischen drei und vier Stunden dauern, basieren auf einem Fragebuch, das für alle Teilnehmenden gleich ist. Ziel ist es, herauszufinden, wie die Interviewten bestimmte Gegenstände, Tiere und Tätigkeiten in ihrem Dialekt bezeichnen. Gibt es dieses alte Dialektwort noch? Wie wird es genutzt? Als Unterstützung dienen Bildkarten, Satzkarten und kurze Videos. „Mit rund 600 kleinen Aufgaben erfassen wir verschiedene sprachliche Ebenen, Wortschatz (Lexik), Wortstruktur und Wortbildung (Morphologie), Lautstruktur (Phonologie) und Satzbildung (Syntax) gleich am Laptop vor Ort“, erläutert Albers. Die Daten werden computergestützt erhoben, weiterverarbeitet, transkribiert und in einer Datenbank detailliert erfasst. „Fast eine Millionen Transkriptionen haben wir bereits. Wir analysieren, wie die Menschen ihren Dialekt nutzen, und stellen die Ergebnisse als sprechende Karten im Netz bereit.“

Dialektatlas als virtuelles Museum

Der “Dialektatlas Mittleres Westdeutschland” ist ein Mammutprojekt mit einer klaren Mission. „Auf unserer digitalen DMW-Plattform präsentieren wir den Wandel und die Vielfalt der Dialekte“, sagt Albers und führt aus: „Wir schaffen aber auch einen Erinnerungsort für etwas, das tatsächlich stark im Abbau begriffen ist. Wir versuchen, die kulturelle Identität, das kulturelle Erbe einer bestimmten Region zu bewahren.“ Dialekte sterben aus – doch dieser Atlas hält sie am Leben.


Kontakt

Sebastian Zwies
Leiter Koordinierung
Akademienprogramm

 

06131 / 218 528 17
sebastian.zwies@akademienunion.de