
Ein neues Wörterbuch für eine alte Sprache: Das Leipzig Akkadian Dictionary
Online-Schnuppervorlesung „Was ist Altorientalistik?“
Von Assur nach Babylon: Podcast des Altorientalischen Instituts
Von Keilschriften und Kluftinger-Krimis: Gelehrtenporträt Prof. Dr. Michael P. Streck
Auf einen ☕ mit Altorientalist Michael Streck: Welche Erfindungen wir dem Alten Orient verdanken
Einst war die akkadische Sprache die bedeutendste des Alten Orients, doch ihre Erforschung steckt voller Herausforderungen. Ein neues Belegwörterbuch wird nun Abhilfe schaffen – und bringt alte wie neu entdeckte Keilschriften ins digitale Zeitalter.
Anfang 2025 startete das Langzeitprojekt Leipzig Akkadian Dictionary an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Das Altorientalisten-Team um Projektleiter Prof. Dr. Michael P. Streck und Arbeitsstellenleiterin Dr. Janine Wende erstellt ein nie dagewesenes, digital zugängliches Belegwörterbuch des Babylonisch-Assyrischen oder kurz Akkadischen – ganze 17 Jahre lang.
Über Jahrtausende verbreitet
Akkadisch wurde über Jahrtausende, genauer gesagt vom 3. Jahrtausend v. Chr. bis ins 1. Jahrhundert n. Chr. hinein, vor allem in Mesopotamien gesprochen und geschrieben, dem Gebiet des heutigen Iraks und Syriens. Auch in allen benachbarten Regionen Vorderasiens wurde die Sprache gebraucht. „Das Akkadische ist keine isolierte Sprache, sondern gehört der semitischen Sprachfamilie an, zu der zum Beispiel das Aramäische, das Hebräische, das Arabische und eine ganze Reihe weiterer Sprachen zählen. Und in dieser Familie ist das Akkadische der älteste Vertreter“, erläutert Projektleiter Streck, Professor für Altorientalistik an der Universität Leipzig.
Riesiges Korpus – auf Ton verewigt
Mit Keilschrift auf Ton und Stein verewigt, ist uns diese alte Sprache bis heute erhalten geblieben. „Wir kennen mehrere hunderttausend Schriftstücke, darunter etwa das berühmte Gilgamesch-Epos, die Sintfluterzählung und die Gesetze Hammurapis. Auch gelehrte Texte unterschiedlichster Genres sind in Keilschrift festgehalten, beispielsweise zur Astronomie, Mathematik oder Medizin. Etwas ganz Besonderes sind die Alltagstexte: Abertausende von Verwaltungsdokumenten und Schriftwechseln zwischen Königen, Beamten und Privatleuten sind noch aus dieser Zeit erhalten. Wir haben Briefe, Abrechnungen, Quittungen, Memoranden, Verzeichnisse, Rechtsurkunden. All das summiert sich auf ein riesiges Korpus – und gibt uns Einblicke in das alltägliche Leben im alten Orient“, betont Streck (siehe Pressemitteilung der SAW Leipzig vom 14. März 2025). Es gibt noch eine weitere Besonderheit: „Akkadisch ist nach dem Altgriechischen die zweithäufigste Sprache des Altertums: Es gibt von ihr mehr Zeugnisse als beispielsweise vom antiken Latein. Das Akkadische ist damit eine der am besten dokumentierten Sprachen des gesamten Altertums“, so Streck.
Veraltete Wörterbücher
Und doch gibt es ein Problem: Es fehlen die Worte. „Uns Altorientalisten stehen zwei große und fantastische Wörterbücher in gedruckter Form zur Verfügung, aber sie sind veraltet, zumindest die ersten Bände: mehrere tausend Wörter, die in den ständig neu publizierten Keilschrifttexten entdeckt wurden, sind in ihnen gar nicht enthalten“, weiß Streck. Und genau da setzt das neue Akademieprojekt Leipzig Akkadian Dictionary an: Der Wortschatz des Akkadischen wird vollständig gesammelt, neu analysiert und in einem Onlinewörterbuch mit Belegen präsentiert. „Ein wichtiges Ziel unseres neuen Belegwörterbuchs ist, dass Forschende der Altorientalistik mit ihm weitere Keilschrifttexte besser übersetzen können als bisher“, sagt Streck. Aber das ist längst nicht alles.
Neue Textstellen, neue Belege
Gibt es dieses Wort schon? Mit welchen Interpretationen? Oder gibt es neue Belege? Viele Keilschrifttexte lagern noch in Archiven oder in Museumskellern oder wurden erst kürzlich bei archäologischen Grabungen entdeckt. Die Keilschriftquellen liefern wertvolle Informationen über die Gesellschaftsstrukturen, Wirtschaft und Religion der alten mesopotamischen Kulturen. Sie dokumentieren Verwaltungsakte, Rechtsgeschäfte, Handelsverträge und mythologische Erzählungen, die unser Verständnis der antiken Welt erheblich erweitern.
Schlüssel zum Kulturerbe
Im Abgleich mit den bestehenden Wörterbüchern wird das Leipzig Akkadian Dictionary also zu neuen Erkenntnissen führen. Neben den Übersetzungen in mehrere Sprachen – Englisch, Deutsch, Französisch und Arabisch – werden auch die jeweiligen Textstellen angegeben, in denen die Wörter vorkommen. Das heißt: Die Worte werden auch in ihren Kontexten und verschiedenen Gebrauchsweisen dokumentiert. Damit entsteht nicht nur ein umfassendes, aktuelles Wörterbuch, sondern auch ein Werkzeug für die Erforschung einer der bedeutendsten Sprachen der Menschheitsgeschichte.
„Unser Belegwörterbuch ist mehr als nur Übersetzungshilfe: Wir können den Sprachgebrauch und -wandel über Zeiten und Regionen hinweg vergleichen. Anhand der neuen Belege lassen sich auch bereits bekannte Worte exakter und detaillierter beschreiben. Für die kulturhistorische Arbeit ist es eine wahre Fundgrube“, betont Streck und fasst zusammen: „Mit unserer Arbeit verfolgen wir drei große Ziele: Texte besser übersetzen können, kulturhistorische Studien und Sprachvergleich.“
17 Jahre Detektivarbeit
Anders als die schweren, aufwändig gedruckten Bände der bisherigen akkadischen Wörterbücher, entsteht nun das neue Leipzig Akkadian Dictionary als frei zugängliche Online-Datenbank. Ganze 17 Jahre sind für das Akademieprojekt veranschlagt, 17 Jahre Detektivarbeit. „Hauptaufgabe unseres kleinen Forscherteams ist, die vielen Texte zu lesen, zu übersetzen und wie ein Detektiv nach neuen Wörtern zu fahnden, neue Bedeutungen bereits bekannter Wörter zu erkennen und der Geschichte eines jeden Wortes in den Keilschrifttexten nachzuspüren“, erläutert Streck und kommt ins Schwärmen: „Es ist ein tolles Gefühl, plötzlich ein Wort zu entdecken, das in noch keinem Wörterbuch steht! Und dann zu überlegen: Was heißt dieses Wort hier? Vielleicht kommt es in verschiedenen Belegen vor. Was muss dieses Wort bedeuten, damit alle diese Kontexte Sinn ergeben? Diese lexikalische Arbeit macht mir großen Spaß und ist wirklich spannend. Nicht zuletzt auch deshalb, weil wir auf ganz unterschiedliche Schriftstücke stoßen.“
Alles auf einer Plattform online verfügbar
Sobald die Online-Plattform konzipiert und erstellt ist, können Nutzerinnen und Nutzer in Sekundenschnelle nach Wörtern, Übersetzungen und ihrem Vorkommen in Texten suchen. Auch die alten gedruckten Wörterbücher werden digitalisiert und in das neue System integriert. Links werden das Wörterbuch mit digitalen und online veröffentlichten Sammlungen von Keilschrifttexten verknüpfen. Nicht zuletzt lassen sich Korrekturen und Zusätze einarbeiten, denn der Wissensstand verbessert sich laufend. Mit dem Leipzig Akkadian Dictionary entsteht eine umfassende, wissenschaftlich fundierte und stets aktualisierbare Ressource für Forschende und Interessierte weltweit.






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Sebastian Zwies
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