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Dezember | Bibelübersetzer verbreitet Gottes Wort auf Deutsch

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Sein Name ist bis heute unbekannt, sein Werk über Jahrhunderte unerschlossen und doch hat er Großes geleistet: Rund 200 Jahre vor Luther übersetzte der sogenannte „Österreichische Bibelübersetzer“ größere Teile der Bibel ins Deutsche und ergänzte sie mit Kommentaren und Auslegungen – ein Werk, das dank des Akademienprogramms nun wieder ins Licht der Forschung und Öffentlichkeit tritt.

Seit 2016 arbeiten die Forschenden des Akademienprojektes „Der Österreichische Bibelübersetzer. Gottes Wort deutsch“ daran, das gesamte Werk des Österreichischen Bibelübersetzers zu erstellen und zu erschließen, und zwar an zwei Arbeitsstellen: einer größeren der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in Augsburg und einer kleineren der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Berlin.

Zum Projektende im Jahr 2027 soll der Wissenschaft ebenso wie der Öffentlichkeit eine umfassende gedruckte sowie digitale Edition zur Verfügung stehen, mitsamt Nachweis der handschriftlichen Überlieferung sowie Erschließungs- und Verständnishilfen. Die digitale Edition wird die verschiedenen Textfassungen mit Kommentaren und Erläuterungen sowie die Digitalisate der mittelalterlichen Handschriften nebst ihren kunstvollen Illustrierungen umfassen. Damit bringt das interakademische Projekt Licht ins vorreformatorische Zeitalter, erhellt es für Literaturwissenschaft und Sprachforschung sowie für die Religions-, Kunst- oder Geschichtswissenschaften – und nicht zuletzt für all jene, die sich für Bibelauslegungen jenseits der Evangelisch-Lutherischen Kirche interessieren.

Bibel für das Volk

„Der Gedanke, dass das Monopol der Deutung der Bibel nicht allein dem Klerus vorbehalten sein soll, kam lange vor Luther auf“, sagt Dr. Angila Vetter, wissenschaftliche Koordinatorin der Augsburger Arbeitsstelle, und erläutert: „Seit dem 14. Jahrhundert, dem ‚Jahrhundert der Laienbibel‘, werden größere Teile der lateinischen Vulgata-Bibel in die Volkssprache transportiert. Und das umfassendste deutsche Projekt vor Luther ist die kommentierte Übertragung des Österreichischen Bibelübersetzers. Seine Überzeugung war: Jeder hat das Recht darauf, das Wort Gottes zu erfahren und zu verstehen“, so Vetter, „daher hat er sein ganzes Schaffen darauf ausgerichtet, die Menschen in ihrer Sprache zu erreichen, mit Bildern, Geschichten und Erklärungen.“

Sprachliche Brillanz

„Im Gegensatz zu anderen erzählt der Österreichische Bibelübersetzer eine Gesamtgeschichte von Jesu Leben und Wirken“, hebt Dr. Elke Zinsmeister, Leiterin der Berliner Arbeitsstelle, hervor, „und das in einer sehr schönen Sprache. Sein künstlerischer Ansatz zeigt sich sowohl in vielen neuen Wortkreationen wie vröudenrîchen für ‚mit Freude erfüllen‘ als auch in seinen Kommentaren, die das zeitgenössische Textverständnis repräsentieren. Zudem hat er zahlreiche Legenden, etwa zur Kindheit von Jesu oder Maria, in seine Übersetzungen eingewoben, wobei er die Trennung zwischen Bibel und seinen Ergänzungen transparent gemacht hat.“

Für beide Expertinnen liegt die Besonderheit des Werkes insbesondere in seiner sprachlichen Brillanz: Der Österreichische Bibelübersetzer war nicht nur des Lateins mächtig, sondern konnte es auch in ein anspruchsvolles und gut verständliches Deutsch übertragen. Und das, obwohl er, wie seine Vorreden zeigen, keine universitäre Ausbildung genossen hat und überdies kein Geistlicher war und daher nicht berechtigt war, die Heilige Schrift auszulegen – ein guter Grund, anonym zu bleiben.

Vom Laien für Laien

Nicht zuletzt weil er seinen Namen nicht nennt, weiß man über den Österreichischen Bibelübersetzer selbst nicht allzu viel. Sprache und Verbreitung der Überlieferung seiner Texte weisen ins mittelalterliche Herzogtum Österreich. In seinen Vorreden wird deutlich, dass er sich wiederholt Kritik ausgesetzt sah, weil er es wagte, als Laie die Bibel zu übersetzen und zu kommentieren. Doch er rechtfertigt sein Anliegen damit, anderen Laien den richtigen Glauben nahezubringen und sie gegen falsche Lehren zu immunisieren.

Das Werk eines Einzelnen

Lange Zeit blieb unbemerkt, dass die in Einzelhandschriften in Bibliotheken auf der ganzen Welt verstreuten Texte einzig und allein aus der Feder des Österreichischen Bibelübersetzers stammten. Übereinstimmungen in Sprache und Vorgehen, Selbstzitate und vor allem die zur Rechtfertigung seines Vorhabens angefertigten Vorreden führten erst dazu, ein zusammengehöriges Werk zu erkennen.

Bekannt sind heute die Übertragungen des „Alttestamentlichen Werkes“, ein ausführlicher Psalmenkommentar, das „Evangelienwerk“ sowie eine Reihe kleinerer Schriften und Traktate. Vom „Alttestamentlichen Werk", das die Bücher Genesis, Exodus, Tobias, Hiob, Proverbia, Ecclesiastes und Daniel umfasst, gibt es nur wenige Handschriften. Das „Evangelienwerk“ hingegen besteht aus bislang 30 vollständigen Handschriften und Fragmenten und sticht durch zwei verschiedene Fassungen und sehr kostbare illustrierte Handschriften heraus. Vom „Psalmenkommentar“ sind sogar mehr als 70 Textzeugen bekannt.

Prachtvolle Handschriften

Das Werk des Österreichischen Bibelübersetzers stieß im 14. und 15. Jahrhundert auf reges Interesse – und das 150 Jahre vor der Erfindung des Buchdrucks. Davon zeugen die rund 120, zum Teil prächtig ausgestatteten Handschriften, in denen seine Texte überliefert sind (siehe Bildergalerie). „Die älteste Handschrift, die uns vorliegt, ist am Rand so reichlich bebildert, dass die Aussage des Textes auch ohne lesen zu können, verständlich ist“, betont Vetter. So viele dieser Handschriften sind bis heute erhalten; und wer weiß, vielleicht findet sich im hintersten Winkel einer Bibliothek noch eine schillernde Fassung der Weihnachtsgeschichte.

Katrin Schlotter


Kontakt

Sebastian Zwies
Leiter Koordinierung
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