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August | Schatzhaus unserer Sprachgeschichte: das Althochdeutsche Wörterbuch

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Die Wurzeln unserer Sprache reichen bis ins 8. Jahrhundert zurück, als Kaiser Karl der Große die bis dahin ausschließlich lateinischen christlichen Gebrauchstexte in die Volkssprache übertragen ließ. Aber was ist aus diesem Sprachschatz geworden? Das zeigt das Althochdeutsche Wörterbuch der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig – ein Werk für die Ewigkeit.

Meerrettich, Liebstöckel oder Minze – im Garten der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig wachsen mehr als zwanzig Heilkräuter. Sie sind mit kleinen Schildern versehen, die den althochdeutschen, lateinischen, botanischen und gegenwärtigen Namen tragen. All diese Pflanzen sind seit Jahrhunderten bekannt: Der berühmte Abt und Dichter Walahfrid Strabo (808/9–849) hat sie in seinem Gedicht De cultura hortorum beschrieben, angefangen von ihrem Aussehen und ihrem Duft über ihre Heilkraft bis hin zur Symbolik. Allein dieses Werk ist bis heute in sieben Abschriften überliefert. Und es diente als Ideengeber für den Akademie-Garten, der eigens für die Öffentlichkeit angelegt wurde, um erste Einblicke in das Akademieprojekt „Althochdeutsches Wörterbuch“ zu geben. Allein an den Pflanzennamen zeigt sich, wie unsere heutige Sprache – im wahrsten Sinne des Wortes – im Althochdeutschen verwurzelt ist. Und das ist nur ein Teil der ‚Wahrheit‘, wie Prof. Dr. Hans Ulrich Schmid, Projektleiter des „Althochdeutschen Wörterbuchs“ der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, weiß.

Tausend Jahre Sprachgeschichte

„Das Althochdeutsche Wörterbuch ist ein ‚Thesaurus’, ein ‚Schatzhaus’, das alle althochdeutschen Wörter und deren Gebrauchsweisen im weitesten Sinne aufbewahrt“, betont Schmid. In diesem Schatzhaus liegen rund tausend Jahre Sprachgeschichte. „Unser Ziel ist, mit dem Akademieprojekt das gesamte erhaltene Wortgut des frühestbezeugten Deutschen aus allen Textsorten zu erfassen und zu erschließen.“

Anders als man vielleicht denken könnte, bezieht sich der Begriff „Althochdeutsch“ nicht auf eine frühe Form des Hochdeutschen im heutigen Sinne als normierte Standardsprache. „In der Zeit vom 8. bis ins 11. Jahrhundert haben sich in Europa die Nationalsprachen herausgebildet. Deshalb ist Althochdeutsch ein Überbegriff für eine ganze Reihe von Dialekten, die in den südlichen zwei Dritteln des heutigen Sprachgebiets liegen“, stellt Schmid klar und erläutert: „Der Begriff Hochdeutsch kam erst im 18. Jahrhundert auf. Deshalb bedeutet in Althochdeutsch das ‚Alt‘ die Zeit vom 8. bis ins 11. Jahrhundert, das ‚Hoch‘ die geographische Lage, also die Berge, und ‚Deutsch‘ die Sprache des Volkes, wohingegen Latein die Sprache der Wissenschaft und Religion war, also die Schriftsprache.“

Volkssprache Althochdeutsch

Das Althochdeutsche Wörterbuch umfasst den Wortschatz aller Quellen, aller Texte, die in dieser Zeit schriftlich aufgezeichnet worden sind. Und davon gibt es noch heute unendlich viele: „Überliefert sind zum Teil weltliche Dichtungen wie die Merseburger Zaubersprüche oder das Hildebrandslied, eines der frühesten poetischen Textzeugnisse überhaupt. Den Großteil macht allerdings fromme, christlich geprägte Literatur aus, wie zum Beispiel die Evangelienharmonie Otfrids von Weißenburg in Versform. Zudem gibt es Wörterbücher und sehr, sehr viele Glossen, das sind einzelne deutsche Wörter, die beim Studium lateinischer Texte als Entsprechung zu erklärungsbedürftigen Wörtern dazugeschrieben wurden“, fasst Schmid zusammen. Das Althochdeutsche Wörterbuch hat es sich zur Aufgabe gemacht, jeden einzelnen Beleg, der irgendwo in deutscher Sprache aufgeschrieben worden ist, zu dokumentieren und festzuhalten.

Vom Belegzettel zum Wörterbuchartikel

Das Althochdeutsche Wörterbuch ist mehr als ein normales Wörterbuch, es ist ein auf zehn Bände angelegtes Belegzitatwörterbuch zum ältesten Deutsch. Es zeigt, aus welcher Quelle die Wörter stammen und in welchem Zusammenhang sie dort standen. Den Grundstein dafür hat Elias von Steinmeyer (1848–1922) gelegt: Der Altphilologe und Germanist trug ab den 1870er Jahren alle in den Quellen vorkommenden Wortformen zu einem Belegarchiv zusammen. Mittlerweile zählt diese Materialsammlung rund 750.000 Belegzettel, die seit 1935 die Grundlage der Belegsammlungen des Althochdeutschen Wörterbuchs bilden.

Doch vom Belegzettel bis zum Wörterbuchartikel sind sehr viele Arbeitsschritte notwendig, denn der Belegzettel enthält nur die Schreibform und die Edition. „Unser Arbeit besteht darin, die Überlieferungsbedingungen zu ermitteln, zu schauen, in welchem Kontext das Wort gebraucht wurde, also, ob es sich um einen Text oder eine Glosse zu einem lateinischen Text oder zu einem lateinischen Glossar handelt“, erklärt Schmid. „Im nächsten Schritt ermitteln wir die Bedeutung und analysieren die Grammatik. Erst wenn wir alle Belege gesichtet haben, die zu einem Wort gehören, schreiben wir den Wörterbuchartikel. Das ist schon eine geistige Knochenarbeit.“

Grundlagenwerk für alle Disziplinen

Und diese lohnt sich. Denn: Das Althochdeutsche Wörterbuch ist das Grundlagenwerk schlechthin und richtet sich an all diejenigen, die sich – gleich welcher Disziplin – mit der Sprache und der Kultur aus der Zeit vom 8. bis zum 11. Jahrhundert befassen. „Besonders interessant ist es für die Sprach- und Dialektforschung, weil Relikte des Althochdeutschen noch immer in Dialekten zu finden sind, aber auch für die Bildungs- und Kirchengeschichte, wenn es um die Deutung der Bibel geht. Spannend ist es auch für die Ethnologie, weil sich anhand einzelner Worte sehr viel über Weltsichten, soziale Beziehungen, Ehrbegriffe oder auch magische Dinge erfahren lässt“, erläutert Schmid.

 

Althochdeutsch online

Seit 2017 stehen alle bisherigen Einträge des Althochdeutschen Wörterbuches unter www.saw-leipzig.de/de/digitale-publikationen und www.woerterbuchnetz.de auch online zur Verfügung. Suchfunktionen erleichtern den Zugriff auf den Inhalt, und Verlinkungen in den einzelnen Einträgen knüpfen wechselseitige Verbindungen zu den Wortschätzen anderer Wörterbücher wie des „Deutschen Wörterbuchs“ der Brüder Grimm oder des „Mittelhochdeutschen Handwörterbuchs“ von Matthias Lexer. Die Onlineausgabe erscheint jeweils drei Jahre nach der gedruckten Publikation.  

„Das Althochdeutsche Wörterbuch ist eigentlich ein Werk für die Ewigkeit. Denn man kann mit allergrößter Sicherheit sagen, dass nach der Generation von Forscherinnen und Forschern, die jetzt dieses Wörterbuch schreiben, niemand mehr ein solches Unternehmen betreiben wird“, gibt Schmid zu bedenken und resümiert: „Das Althochdeutsche Wörterbuch macht es möglich, jedes einzelne Wort in seinem Kontext und in seinen Konnotationen zu sehen. Was haben die Menschen gedacht, was waren ihre Assoziationen? Und ist das wirklich so zu verstehen? Das ist letzten Endes nichts Geringeres als die Bewahrung des kulturellen Erbes.“

Katrin Schlotter


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